Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der chinesischen Vase

Das Geheimnis der chinesischen Vase

Titel: Das Geheimnis der chinesischen Vase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
Minute
dunkler. Der Himmel öffnete seine Schleusen. In der Lindenhof-Allee brannten Laternen.
Aber sie standen weit voneinander entfernt: nur Lichtinseln in der Dunkelheit
der Herbstnacht.
    Die Jungs saßen am Fenster,
beobachteten und stellten Vermutungen an.
    Drüben rührte sich nichts.
    Regina Hübner hatte die
Vorhänge an ihren Fenstern geschlossen.
    Man sah. dass Licht brannte.
Und hin und wieder sahen die Jungs ihren Schatten. Mehr aber auch nicht.
    »Schon halb neun durch«, meinte
Karl.
    Im selben Moment sah Tarzan die
Gestalt.
    Es war ein Mann. Er kam die
Straße herauf. Sein dunkler, glänzender Regenmantel reichte bis fast auf die
Knöchel. Er trug einen schwarzen Filzhut mit gewaltiger Krempe. Den Kragen
hatte er hochgeklappt, die Hände in den Taschen vergraben.
    Eigentlich sah man nichts von
ihm — außer Mantel und Hut.
    Langsam ging er durch den
Regen: weit und breit das einzige Lebewesen. Denn auch jeder charaktervolle
Hund hätte sich geweigert, bei diesem Wetter Gassi zu gehen.
    »Du«, sagte Tarzan. »Täusche
ich mich? Oder glotzt der wirklich zu Regina hoch?«
    »Schaudig kann’s nicht sein.
Der ist viel kleiner.«
    »Und nicht so massig.«
    »In eins der Häuser hier gehört
der nicht. Ich würde ihn am Gang erkennen.«
    In diesem Moment bog der Mann
ab. Er überquerte die Straße und trat in den Park. Aber nicht dort, wo ein Weg
hineinführt, sondern an einer Stelle, wo er sich durch Sträucher zwängen
musste: genau gegenüber von Nr. 33.
    »Tssshhh!«, machte Tarzan.
»Muss der sich mal verflüssigen — oder was soll das bedeuten?«
    »Ich sehe ihn nicht mehr. Er
ist hinter den Büschen.«
    »Und dort, darauf wette ich,
bleibt er. Karl, das gefällt mir nicht. Das sieht fast so aus, als wartet der
auf unsere geschätzte Bankfrau.«
    »Aber weshalb? Er hat ja nicht
mal einen Blumenstrauß dabei.«
    »Regina Hübner schwebt in
Lebensgefahr und du Unmensch machst Witze.«
    »Meinst du wirklich, sie ist in
Gefahr?«
    »Gib mir deine Pelerine. Ich
werde mich klammheimlich hinunterbegeben und den Kerl von hinten anpirschen.«
    »Ich komme mit.«
    »Mir wäre es lieber, du bliebst
hier und könntest alles aus der Vogelschau beobachten. Einer muss den Überblick
bewahren.«
    Tarzan sagte das, um seinen
Freund nicht hineinzuziehen. Wenn es Krawall gab, konnte Karl ihm nicht nützen.
Als Theoretiker war er Klasse, aber Straßenkampf war nicht seine Stärke.
    Zwei Pelerinen standen zur
Auswahl: eine aus rauschendem Gummistoff, den man weithin hörte, und eine aus
dunklem Loden.
    Tarzan nahm das Loden-Cape,
verließ die Villa hofseitig, pirschte durch den Garten und an dunkler Stelle
über die Lindenhof-Allee.
    Im Park war es stockfinster.
Zweige peitschten ihn, als er sich durch die Büsche arbeitete.
    Vorsichtig näherte er sich der
Stelle, wo er den Mann vermutete.
    Hier stand keine Laterne. Die
nächste war defekt und gab nur schwache Lichtzeichen von sich, etwa mit der
Leuchtkraft eines Glühwürmchens. Die übernächste stand hinter der Kurve und
fühlte sich für diesen Bezirk nicht mehr zuständig.
    Für etwas Helligkeit sorgte
lediglich Haus Nr. 33. Aber dort war außer Regina Hübner niemand daheim. Zwei
ihrer Fenster wiesen zu Karl hinüber, zwei lagen straßenseitig. Hinter dem
immer dichter werdenden Regenschleier waren das nur milchige Kleckse.
    Wo ist er?, dachte Tarzan. Ich
sehe ihn nicht. Höre ihn nicht. Wenn er wenigstens rauchen würde! Oder ist
alles nur Einbildung? — und er quer durch den Park stadtwärts gestiefelt.
    Seine dunklen Locken waren
jetzt patschnass. Regen lief ihm in den Kragen und nasse Füße hatte er auch.
Die obligaten (unerlässlichen) Turnschuhe waren heute Abend nicht die
richtige Ausrüstung.
    In diesem Moment erlosch das
Licht in Regina Hübners Wohnung.
    Nanu!, dachte er. Sie geht doch
nicht etwa ins Bett?
    Jetzt strahlte die Lampe über
der Haustür hell auf. Auch im Treppenhaus war Festbeleuchtung, wie er durch den
Glaseinsatz der Tür sah.
    Und noch etwas sah er: den
Mann.
    Deutlich hob er sich vor dem
jetzt erhellten Hintergrund ab: Ein großer, massiger Kerl, etwas geduckt, wie
sprungbereit, zwischen zwei Büschen unmittelbar an der Straße.
    Also doch!, dachte Tarzan. Er
wartet auf sie. Aber nicht in freundlicher Absicht. Du wirst dich wundern,
Amigo! Sobald du loslegst, lege ich los. Himmel, wo bleibt die Bankfrau?
    Offenbar hatte sie was
vergessen. Denn in ihrer Wohnung wurde es abermals hell. Aber nur für eine
Minute.
    Währenddessen brannte

Weitere Kostenlose Bücher