Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
darin klingelten hell.
»So geh endlich.«
Maria verbeugte sich, raffte ihre Röcke und griff nach der Tasche, in der sie ihre Instrumente und Heilkräuter mit sich führte. An der Tür angelangt bekreuzigte sie sich und verbeugte sich ein letztes Mal gegen den Conte und die junge Mutter. Sie hatte das Schicksal ihrer Herrin verkauft – für zwanzig jämmerliche Scudos. Die Hebamme fürchtete, sich nicht losreißen zu können. Durch den Tränenschleier hindurch sah sie, wie der hochgewachsene Mann an die Wiege trat, dann schloss sie mit einem verzweifelten Ruck die schwere Tür hinter sich und lief, so schnell es ihre alten Beine erlaubten. An den Wachen vorbei, an den Stallungen, immer weiter, in den Morgen hinein. Als sie glaubte, für jedermann außer Sichtweite zu sein, ließ sie sich am Wegrand in das hohe Gras fallen. Die Tränen rannen unaufhörlich über ihr faltiges, gutes Gesicht. Sie hatte schwere Schuld auf sich geladen. Nie mehr würde sie einen Fuß in diesen verfluchten Palazzo setzen, nie mehr.
Mit unruhigem Blick verfolgte Donata die Bewegungen des Conte. Er war an der Wiege stehen geblieben und hatte die Decke fortgezogen. Mit einem Stöhnen sank sie zurück. Sie schloss die Augen. Der Graf gab keinen Laut von sich. Die Sekunden der Stille kamen ihr vor wie eine einzige schwarze Unendlichkeit.
Di Cavalli verharrte regungslos und blickte auf das Kind. Er hatte seiner Frau den Rücken zugewandt und zog etwas aus seiner goldverbrämten Jacke.
Donata fühlte ihr Herz hart pochen, und instinktiv spürte sie die Gefahr, die von diesem gutgewachsenen Mann mit den tiefliegenden dunklen Augen ausging. Sie liebte ihn nicht, sie hatte ihm nie vertraut. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Hände krallten sich in die frischen Laken, und sie richtete sich mühsam auf, um die Szene an der Wiege zu verfolgen. Ihre Angst geriet zur Panik, als sie eine Klinge in seiner Hand aufblitzen sah. Er beugte sich über das Bettchen, stach das Messer hinein, holte aus, stach nochmals zu. Für Donata zerriss die Zeit. Und da hörte sie das Schreien ihres Mannes. Es war laut und kehlig, ein Heulen aus tiefster Seele, der Ausdruck entsetzlicher Pein. Die Wiege schwankte. Di Cavalli griff mit der Linken hinein und schleuderte einen leblosen kleinen Körper vor das Bett seiner Gemahlin. Das Messer warf er hinterher. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, als er einen Schritt auf ihr Lager zuging. Dann entspannten sich plötzlich seine Züge, die Arme sanken schlaff an seinem Körper herab, und er blickte auf das blutige Bündel vor dem großen, seidenbezogenen Bett. Er packte eine Decke, kam näher. Langsam hob er den Leichnam auf, wickelte ihn fast zärtlich ein und ging ruhig damit zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal zu Donata um.
»Du hast das sechste Gebot gebrochen, hast das heilige Sakrament der Ehe verraten. Hast mich betrogen. Doch niemand betrügt den Conte von Lucca ungestraft, Weib. Dein Kind ist tot. Dein Geliebter wird sterben, falls du ihn jemals wiedersiehst. Aber du, du sollst leben. Mit der Erinnerung an diesen Tag.«
2. KAPITEL
G iacomo blickte in den Himmel und schaute dem Kranich nach, der in tiefem Flug über seinen Kopf hinwegzog. Die Sonne stand wie eine gleißende weiße Scheibe über der Ebene, die er mit seinem Pferd langsam durchquerte. Die Luft flirrte, und die brütende Hitze ließ die kleinen Steine am Wegesrand wie Glasscherben blitzen. Er war hier zu Hause, hier in der Maremma, in diesem Land, das nur aus Sumpf und Armut zu bestehen schien. Und er war ein Buttero, genau wie sein Vater und wie der Sohn, den er irgendwann einmal haben würde.
Der Viehhüter lenkte sein Pferd den ausgetretenen Pfad entlang. Er tat es aus Gewohnheit, nötig gewesen wäre es nicht, denn das Pferd eines Buttero findet seinen Weg allein. Ein Maremmenpferd weiß, wo die Macchia weniger dicht wächst, wo der Sumpfboden gefahrlos durchwatet werden kann. Es scheut nicht, wenn es auf wilde Tiere trifft, und es bringt seinen Reiter immer sicher ans Ziel … Giacomo klopfte seinem Pferd den stämmigen kurzen Hals. Er hatte die Stute selbst gezähmt. Es hatte fast drei Jahre gedauert, Jahre voll des Wartens und Verstehens. Und irgendwann war es so weit gewesen. Seither waren sie unzertrennlich. Das Pferd blähte die Nüstern und schüttelte seinen Kopf, als wollte es ihm Recht geben. Giacomo lachte auf.
Sie würden bald daheim sein, und er freute sich auf das Essen mit seiner Familie. Er dachte an seine
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