Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Zeit vergangen war, richtete sich Donata so weit wie möglich auf und rief der Frau zu:
»Hast du den Conte verständigen lassen, Maria? Weiß er schon von – seiner – Tochter?«
Donata konnte nicht sehen, wie die Alte sich bekreuzigte, bevor sie sich zu ihrer Herrin umwandte und mit fester Stimme sagte:
»Ja, meine Contessa. Der Graf wird gleich hier sein.«
»Das ist gut.«
Donata fühlte sich immer noch vollkommen erschöpft, und es hatte Momente in den letzten Stunden gegeben, da wünschte sie sich, tot zu sein, um die Schmerzen nicht mehr ertragen zu müssen. Aber dann, wenn es schwarz um sie herum wurde, wenn sie glaubte, den Verstand zu verlieren, weil es sie inwendig zerriss, dann dachte sie an ihren Liebsten und daran, wie tief und echt ihre Gefühle füreinander waren. Und dieses Kind war ein Pfand ihrer Liebe, so viel war gewiss. Ihr Liebster … Gefährte für die Ewigkeit … sie vermisste ihn so sehr.
»Ich bin der glücklichste Mann auf Erden, mia cara«, hatte er ihr bei ihrem letzten Beisammensein ins Ohr geflüstert und seine Hand auf ihren geschwollenen Leib gelegt. Zärtlich küsste er ihre schweren Brüste und drückte seine Geliebte stumm an sich. Dann hielt er sie von sich, betrachtete sie eindringlich, als wollte er sich ihr schönes Gesicht für immer einprägen. Alles, was die Liebe einer Menschenstimme an Glanz verleihen kann, lag in seinen Worten, als er leise und bestimmt zu ihr sagte:
»Du bist mein Weib, Donata, so wie ich dein Mann bin. Daran kann niemand im Himmel oder auf Erden etwas ändern. Wir sind füreinander geschaffen. Und dieses Kind«, wieder strich er liebevoll über ihren Leib, »dieses Kind ist ein Unterpfand unserer Liebe, meine Blume. Denk immer daran. Nichts wird uns je trennen.«
Die Erinnerung an diese Worte gab der jungen Frau Trost, und sie wurde ruhiger. Wie gern würde sie ihm, dem Gemahl ihres Herzens, jetzt das Kind zeigen … Maria unterbrach die Gedanken der Wöchnerin, als sie an ihr Bett trat und energisch die Kissen in ihrem Rücken aufschüttelte. Donata glaubte zu hören, wie sie schluchzte. Sie ließ sich in die kühle Seide zurückfallen und spürte, wie etwas Blut aus ihr herausfloss. Sie hätte sich gern wieder aufgesetzt, um nach der Wiege zu schauen, die hinten in ihrem Schlafgemach am Kamin stand, aber ihr Körper lag wie ein Bleigewicht in den Laken und schien nicht ihr selbst zu gehören. Sie konnte denken und sprechen, aber ihre Glieder waren immer noch erstaunlich taub und irgendwie fremd. Ihre Augen suchten den Raum nach neuen, unbekannten Details ab, die es natürlich nicht gab. Sie wollte wach bleiben, sie wollte sich ablenken, nicht daran denken müssen, wie schwach und hilflos sie jetzt war.
Kein Laut drang durch die nun wieder zugezogenen, bunt durchwirkten Vorhänge in das Zimmer, und jeder Schritt Marias wurde durch dicke Teppiche gedämpft. Die beiden großen Kandelaber, die aus ihrer Mitgift stammten, erfüllten den Raum mit einem gespenstischen Licht und warfen züngelnde Schatten auf die prächtigen Gemälde an den Wänden und auf die hohe, schwere Tür, die zur Galerie des Palazzo führte. Wie sehr sie das alles hier hasste. Donata fühlte sich lebendig begraben in all dieser dunklen Pracht, und sie hatte das Gefühl zu ersticken. Sie sehnte sich zurück in ihre Heimat, nach Como, sie vermisste die Berge und den See und die Fischer mit ihren kleinen Booten, und sie vermisste ihre Eltern. Sie waren eine glückliche Familie gewesen; ihr Vater, ein berühmter Dottore, hatte sich hervorragend mit Heilkräutern und den daraus herzustellenden Essenzen ausgekannt. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt, bis nach Mailand und Lucca. Hier ereignete sich auch jener furchtbare Unfall, bei dem er und die Mutter starben. Aus dem Nichts tauchten zwei reiterlose Pferde in der belebten Gasse auf und begruben wahllos Menschen unter wütenden Huftritten.
Beim Gedanken an ihre Eltern kamen ihr die Tränen. Sie hatten sie viel zu früh verlassen. Da sie sonst ganz allein und überdies zu jung war, um verheiratet zu werden, hatte ihr Vormund sie bei sich aufgenommen: Ascanio. Sie dachte mit Bitterkeit daran, wie dankbar sie gewesen war, dass er sie nicht in die Obhut von Klosterschwestern gegeben, sondern zu sich genommen hatte, ihr sogar ermöglichte, ihr gewohntes freies Leben weiterzuführen. Wenn sie geahnt hätte, mit welcher Absicht dies geschah, hätte sie sich nach dem Begräbnis der Eltern in den See gestürzt oder aus einer der
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