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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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0,18 Prozent.«
    Hiroshima schickte einen Einwechselspieler an den Schlag, und Nakagomi warf seinen ersten Pitch. Der Wurf war gut, aber der Schlagmann traf mit voller Kraft. Der Ball flog in den blauen Nachthimmel, wobei er eine anmutige Parabel beschrieb, wie ich sie aus den verstaubten Heften des Professors kannte. Er war heller als der Mond und schöner als die Sterne, als er am Firmament verschwand. Alle hoben erstaunt den Blick und schauten ihm hinterher.
    Aber als der Ball den Scheitelpunkt erreichte und zu sinken begann, war alle Anmut verschwunden. Seine Fallgeschwindigkeit steigerte sich zusehends, und er raste wie ein Meteorit nach einer langen Reise durch das Weltall mit Höchstgeschwindigkeit auf uns zu.
    Von irgendwoher ertönte ein Schrei.
    »Pass auf!« rief der Professor. Der Ball streifte Roots Knie, schlug auf dem Betonboden auf und sprang hinter uns über die Tribüne.
    Der Professor hatte sich schützend über Root gebeugt. Mit ausgebreiteten Armen und vorgestrecktem Kopf hielt er den Jungen umschlungen, fest entschlossen, ihn vor jeglicher Gefahr zu bewahren.
    Der Ball war längst eingesammelt, aber die beiden saßen immer noch reglos da. So gerne Root sich wieder richtig hingesetzt hätte, er vermochte sich nicht aus den Armen des Professors zu befreien, da dieser keine Anstalten machte, sich zu bewegen.
    »Bitte achten Sie auf fehlgeschlagene Bälle«, warnte der Stadionsprecher die Zuschauer.
    »Es ist vorbei«, versuchte ich den Professor zu beruhigen. Zu seinen Füßen lagen die Erdnüsse, die ihm aus der Hand gefallen waren.
    »Ein Baseball wiegt 141,7 Gramm. Wenn er aus einer Höhe von 15 Metern herunterfällt, hat er dasselbe Gewicht wie eine Eisenkugel von 12,1 Kilogramm … Der Aufprall wird also 85,39-mal stärker sein als …« Leise murmelte der Professor vor sich hin. Auf den Rückenlehnen der beiden waren die Zahlen 714 und 715 eingraviert. Ebenso wie ich mit dem Professor durch das Zahlenpaar 220 und 284 verbunden war, teilten er und Root die geheimen Bande benachbarter Zahlen. Diese Bande konnte niemand lösen.
    Plötzlich schrie das Publikum auf. Nakagomi hatte doch noch einen Treffer zugelassen. Der Ball flog weit ins rechte Außenfeld.
    »Kaneyama!« rief der Mann am Zaun.

6
    Als wir in den Pavillon zurückkehrten, war es bereits kurz vor zehn. Obgleich er immer noch aufgeregt war, kämpfte Root mit der Müdigkeit und gähnte unentwegt. Ich wollte eigentlich sofort nach Hause, nachdem wir uns vom Professor verabschiedet hatten, aber auch der wirkte so erschöpft, dass ich beschloss, ihn zu Bett zu bringen. Vermutlich war die Rückfahrt im überfüllten Bus zu viel für ihn gewesen. Die anderen Fahrgäste hatten ihn andauernd angestoßen, sodass er Angst hatte, seine Zettel zu verlieren.
    »Wir sind gleich da«, versuchte ich ihn immer wieder zu beruhigen, aber er schien mich nicht zu hören. Während der gesamten Busfahrt vollführte er die merkwürdigsten Verrenkungen, um Berührungen mit anderen Menschen möglichst zu vermeiden.
    Zu Hause entledigte er sich rasch seiner Kleider, aber sicher nicht, weil er müde war, sondern aus reiner Gewohnheit. Er warf der Reihe nach Socken, Jackett, Schlips und Hose auf den Boden und schlüpfte dann ins Bett, ohne sich die Zähne zu putzen. Ich sagte mir, dass er dies erledigt haben musste, als er vorher auf die Toilette gegangen war.
    »Ich danke Ihnen sehr«, sagte er, bevor er die Augen schloss. »Sie haben mir einen wunderschönen Tag beschert.«
    »Obwohl Nakagomi doch noch einen Treffer zugelassen hat.«
    Root kniete am Kopfende und strich die Bettdecke glatt.
    Der Professor murmelte leise:
    »Enatsu hatte es einmal geschafft, als Pitcher keinen einzigen Treffer zuzulassen. Das Spiel ist in die Verlängerung gegangen. Es war am 30. August 1973. Im Pokal hatten die Tigers die Giants aus dem Rennen geworfen und traten im Endspiel gegen die Chunichi Dragons an. Enatsu gelang in der zweiten Hälfte der 11. Runde ein Homerun, sodass sie das Spiel 1 : 0 gewannen. Er hat das Spiel ganz allein entschieden … Aber heute war Enatsu nicht dabei …«
    »Nein. Beim nächsten Mal sehen wir uns die Aufstellung an, bevor wir die Karten besorgen.«
    »Immerhin haben die Tigers heute gewonnen«, warf ich ein.
    »Ja, 6 : 1. Das ist ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann«, erwiderte der Professor.
    »Die Tigers haben sich auf den zweiten Platz verbessert, während die Giants gegen Taiyo verloren haben und in der Tabelle abgerutscht sind. Solche

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