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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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Stimme klang zwar noch schwach, aber ich war froh, nun wieder bekannte Worte aus seinem Munde zu vernehmen.
    »Am 22. Februar. 220. Die Zahl, die mit der 284 ein befreundetes Paar bildet, ist nämlich 220.«
    Das Fieber hielt drei Tage an. Der Professor blieb fast die ganze Zeit im Bett. Nie beklagte er sich, zumeist schlief er tief und fest.
    Auch zu den Mahlzeiten machte er keine Anstalten aufzuwachen. Keine der Speisen, die ich ihm ans Bett stellte, rührte er an, sodass ich gezwungen war, ihn zu füttern. Ich richtete ihn halbwegs im Bett auf, kniff ihm in die Wangen und gab ihm löffelweise Essen, sobald sein Mund geistesabwesend offen stand. Nicht einmal einen Teller Suppe bekam er herunter, sondern nickte immer wieder ein.
    Er würde auch ohne Arzt genesen. Da der Ausflug das Fieber verursacht hatte, hielt ich es für das Beste, dass er sich einfach zu Hause ausruhte. Ich erklärte es mir damit, dass der ungewohnte Kontakt mit frischer Luft bei ihm plötzliches Fieber ausgelöst hatte, wie bei Kindern. Es war ohnehin nicht daran zu denken, dass er aufstand und sich Schuhe anzog, um zu Fuß einen Arzt aufzusuchen.
    Als Root von der Schule kam, ging er schnurstracks ins Arbeitszimmer des Professors und verweilte ratlos neben seinem Bett. Schweigend stand er da, bis ich ihn aufforderte, den alten Mann in Ruhe zu lassen und stattdessen seine Hausaufgaben zu machen.
    Am Morgen des vierten Tages ging das Fieber deutlich zurück, und der Professor erholte sich. Er schlief nun nicht mehr so viel, und sein Appetit kehrte zurück. Sein Zustand hatte sich so weit gebessert, dass er die Mahlzeiten wieder am Tisch einnehmen konnte, seine Krawatte ordentlich band und auch in seinem Sessel Platz nahm, um ein Mathematikbuch aufzuschlagen. Schon bald widmete er sich wieder seiner Leidenschaft, die Preisrätsel in den Fachjournalen zu lösen. Ich wusste, dass er vollständig genesen war, als er mir missmutig vorhielt, ich würde ihn stören, aber Root zur Begrüßung freudestrahlend in die Arme nahm. Sie lernten wieder zusammen Mathematik, und der Professor strich Root liebevoll über den Kopf. Alles war wieder im Lot.
    Kurz nach seiner Genesung erhielt ich Nachricht, dass ich mich beim Direktor der Akebono-Agentur melden sollte. Es war immer ein schlechtes Omen, außerhalb der regulären Sprechzeiten vorgeladen zu werden. Ein unangenehmes Gespräch drohte – sei es, dass man einen Verweis erhielt, weil ein Kunde sich beschwert hatte, oder man ein Bußgeld entrichten musste, weil man gegen eine Regel verstoßen oder irgendetwas beschädigt hatte. Andererseits war es wegen seines fehlerhaften Erinnerungsvermögens kaum denkbar, dass der Professor sich beklagt haben konnte, und ich hatte mich außerdem an die Abmachung gehalten, das Haupthaus nicht zu betreten. Und so versuchte ich meine Bedenken zu zerstreuen, indem ich mir sagte, der Direktor wolle lediglich herausfinden, wie ich mit einem Kunden zurechtkam, der bereits neun blaue Sterne auf seiner Karteikarte hatte.
    »Es läuft nicht besonders gut für Sie«, lautete seine lapidare Begrüßung, die meinen Optimismus sofort zunichtemachte. »Es gab eine Beschwerde.«
    Er rieb seine Geheimratsecken und schaute mich gequält an.
    »Wieso …«, stammelte ich betroffen.
    Ich hatte oftmals Klagen der Kunden über mich ergehen lassen müssen. Aber bislang hatte der Direktor immer eingelenkt, da ich ihm klarmachen konnte, dass es sich entweder um ein Missverständnis oder eine Marotte des jeweiligen Arbeitgebers handelte. Er hatte mich daraufhin ermahnt, ich solle mich geschickter verhalten, und ließ dann die Sache auf sich beruhen. Aber diesmal schien ich nicht so glimpflich davonzukommen.
    »Spielen Sie nicht die Ahnungslose. Sie haben sich etwas Unerhörtes geleistet. Einfach im Zimmer des Mathematikprofessors zu übernachten, was haben Sie sich dabei nur gedacht?«
    »Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Wer erhebt denn solche Anschuldigungen, die jeder Grundlage entbehren? Das ist ebenso lächerlich wie geschmacklos!« Ich wollte mich mit allen Mitteln zur Wehr setzen.
    »Das ist keine argwöhnische Unterstellung, sondern eine Tatsache. Sie waren doch vor Ort, oder?«
    Ich nickte.
    »Ihnen dürfte allzu gut bekannt sein, dass Sie die Agentur informieren müssen, falls Sie Überstunden machen. Und bei einem Notfall benötigen Sie die schriftliche Einwilligung des Kunden, dass er die Extrakosten übernimmt. So lauten die Dienstvorschriften.«
    »Ja, das weiß

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