Das Geheimnis der Eulerschen Formel
die Hiroshima-Fans gab es hingegen kaum Gelegenheiten zu applaudieren, da Nakagomi, der Pitcher der Tigers, einen Spieler nach dem anderen auswarf.
Der Jubel seiner Fans schwoll jedes Mal an, wenn ihm ein guter Wurf gelang. Und wenn die Tigers einen Punkt erzielten, wurde das Stadion von einer Woge der Begeisterung erfasst.
Ich hatte noch nie eine derart begeisterte Menschenmenge erlebt. Selbst der Professor, von dem ich eigentlich nur zwei Gesichter kannte – sein nachdenkliches und sein zorniges, wenn man ihn beim Nachdenken störte –, wirkte vergnügt. Auch wenn er seiner Freude nur zögerlich Ausdruck verlieh, ließ er sich doch von der Begeisterung mitreißen.
Am auffälligsten gebärdete sich jedoch ein Fan von Kaneyama, der sich am Maschendraht hinter dem Fänger festgekrallt hatte. Es war ein junger Mann in den Zwanzigern, der sich ein gelbes Trikot über seine Arbeitsmontur gezogen hatte, an deren Gürtel ein Transistorradio baumelte. Wenn Kaneyama am Schlag war, brüllte er unentwegt seinen Namen und presste sein Gesicht in den Drahtzaun, ohne sich um den Abdruck zu scheren, den die Maschen auf seiner Stirn hinterließen. Nie verspottete er die Gegner oder beklagte sich, wenn ein Spieler seiner Mannschaft ausgeworfen wurde. Sein Schlachtruf bestand nur aus einem Wort, in das er seine ganze Seele legte: »Kaneyama!«
Als Kaneyama tatsächlich ein Treffer gelang, schrie sich der junge Mann am Zaun die Lunge aus dem Leib. Und selbst als der Spieler später ausgewechselt wurde, dauerte dieses Schauspiel noch lange an. Im Vergleich dazu benahm sich der Professor regelrecht gesittet.
Es schien ihn nicht weiter zu irritieren, dass keiner der Spieler aus seiner Kartensammlung auf dem Feld stand. Vielleicht war er derart damit beschäftigt, seine theoretischen Kenntnisse mit dem aktuellen Spiel in Einklang zu bringen, dass er sich gar nicht um die Namen der einzelnen Spieler kümmerte.
»Was hat der Pitcher denn da für einen Beutel?« fragte er Root.
»Das ist der Harzbeutel. Er enthält Kiefernharz, das man benutzt, um keine glitschigen Hände zu haben.«
»Und wieso läuft der Fänger jedes Mal zur ersten Base hin?«
»Zur Absicherung seines Mannschaftskameraden auf der ersten Base.«
»Es sieht so aus, als würden drüben auf der Reservebank auch Fans sitzen.«
»Nein, das sind Dolmetscher für die ausländischen Spieler.«
Der Professor löcherte Root mit lauter Fragen über Dinge, die ihm nicht geläufig waren. Er konnte zwar erläutern, dass die kinetische Energie eines geschlagenen Balls 150 Stundenkilometer betrug, oder den Zusammenhang zwischen der Temperatur eines Balles und der Distanz, die er zurücklegte, erklären, aber er hatte keine Ahnung, was ein Harzbeutel war. Er hatte Roots Hand inzwischen losgelassen, vergewisserte sich allerdings stets, dass wir noch da waren. Er redete während des gesamten Spiels über Zahlen, stellte Fragen, kaufte Saft bei der hübschen Verkäuferin oder knabberte Erdnüsse. Indessen schielte er unentwegt zur Aufwärmzone, wo sich die Pitcher einwarfen, in der Hoffnung, vielleicht doch noch einen Blick auf die Nummer 28 zu erhaschen.
Die Tigers führten nun mit 6 : 0, aber die ganze Aufmerksamkeit der Zuschauer galt Nakagomi, der als Pitcher der Tigers bislang jeden Spieler der gegnerischen Mannschaft ausgeworfen hatte. Obwohl sein Team führte, waren die Fans hinter der dritten Base etwas ruhiger geworden. Als die Tigers im Schlussabschnitt keinen Punkt erzielen konnten, ging ein Raunen durch die Menge. Wenn die Tigers ihren Vorsprung ausgebaut hätten, wären ihre Anhänger bestimmt gelassener gewesen, aber seit dem zweiten Durchgang war ihnen nicht mehr viel gelungen. So kam es, dass ein regelrechter Zweikampf zwischen Nakagomi und den Schlagmännern der gegnerischen Mannschaft entbrannte, denn nur noch die konnten punkten.
Als Nakagomi sich in der neunten Runde von der Bank erhob und auf den Hügel zuschritt, hörte man in der allgemeinen Geräuschkulisse, wie jemand, der die Anspannung nicht mehr ertrug, von der Tribüne dem Pitcher aufmunternd zurief:
»Nur noch drei!«
Drei Schlagmänner auszuwerfen, ohne dass sie an den Ball kamen, so lautete Nakagomis Aufgabe. Ein Raunen ging durch die Zuschauermenge, denn der Rufer hatte das ausgesprochen, was alle Fans erhofften, aber keiner auszusprechen wagte. Der Einzige, der etwas sagte, war der Professor: »Die Wahrscheinlichkeit, dass der Pitcher keinen einzigen Schlag mehr zulässt, beträgt gerade mal
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