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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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hatte kein Wort über seine Schmerzen verloren, sondern darauf gehofft, dass es von allein besser wurde. Hätte er sich selbst nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit geschenkt, die er Root zukommen ließ, dann wäre die Sache sicherlich nicht so schlimm geworden, aber als es mir auffiel, war die rechte Seite seines Gesichts bereits so stark angeschwollen, dass er kaum mehr den Mund aufbekam. Ihn dazu zu bewegen, einen Zahnarzt aufzusuchen, war einfacher, als ihn zum Friseur oder zu einem Baseballspiel zu lotsen. Wegen der großen Schmerzen leistete er diesmal keinen Widerstand, wobei es ihm sowieso kaum möglich war, den Mund aufzumachen. Er zog ein frisches Hemd an, band sich die Schuhe zu und folgte mir auf die Straße. Ich hatte einen Sonnenschirm aufgespannt, um ihn vor der Hitze zu schützen, und so lief er vor Schmerzen gekrümmt dicht neben mir her.
    »Sie müssen aber auf mich warten«, flüsterte er mir im Wartezimmer zu. Weil er unsicher war, ob ich sein Anliegen überhaupt verstanden hatte, wiederholte er seine Bitte immerzu, bis er aufgerufen wurde.
    »Selbstverständlich warte ich auf Sie. Ich lasse Sie doch nicht Stich.«
    Ich strich ihm tröstend über den Rücken. Die anderen Patienten starrten ungerührt vor sich hin und bemühten sich, uns zu ignorieren. Aber ich wusste ja aus Erfahrung, wie ich mich in einer solchen Situation zu verhalten hatte. Ich musste genauso in mir selbst ruhen wie Pythagoras’ Lehrsatz oder Eulers Theorem.
    »Ist das wahr?« vergewisserte sich der Professor.
    »Natürlich. Machen Sie sich darüber keine Sorgen, ich bleibe hier im Wartezimmer sitzen.«
    Ich wusste zwar, dass es zwecklos war, ihn mit Worten beruhigen zu wollen, aber ich versuchte es trotzdem.
    Bevor er im Sprechzimmer verschwand und die Tür sich hinter ihm schloss, schaute er noch einmal zurück, um sicherzugehen, dass ich auch tatsächlich sitzen blieb.
    Die Behandlung dauerte unerwartet lange. Einige Patienten, die nach ihm aufgerufen wurden, waren längst schon wieder draußen und hatten ihre Rechnungen beglichen. Nur der Professor kam nicht wieder heraus. Ich war sicher, dass er sich in der Vergangenheit nie richtig die Zähne geputzt hatte, und bestimmt war er auch kein fügsamer Patient, den man leicht behandeln konnte. Es war also folgerichtig, dass der Zahnarzt seine Mühe mit ihm hatte. Hin und wieder stand ich auf, um einen Blick durch das Fenster der Tür zum Behandlungszimmer zu werfen, aber ich konnte nur den Hinterkopf des Professors sehen.
    Als er dann endlich herauskam, wirkte er noch verstörter als vorher. Er sah erschöpft aus, und sein Gesicht war schweißüberströmt. Unsicher kniff er sich in die noch tauben Lippen und schniefte leise vor sich hin.
    »Ist alles in Ordnung?« fragte ich besorgt und erhob mich von meinem Stuhl. Ich bot ihm meine Hand an, aber er beachtete mich nicht und ging einfach weiter zur Tür.
    »Was ist mit Ihnen?«
    Auch als ich ihm hinterherrief, schien er mich nicht zu hören. Er streifte die Praxisschuhe ab, schlüpfte in seine vergammelten Schuhe und ging zur Tür hinaus. Hastig bezahlte ich die Rechnung, rannte, ohne einen neuen Termin für ihn auszumachen, auf die Straße und lief hinter ihm her.
    Er erreichte gerade eine belebte Kreuzung, als ich ihn endlich einholte. Die Richtung, die er eingeschlagen hatte, stimmte zwar, aber er scherte sich nicht um den Straßenverkehr, weder um Autos noch Ampeln. Ich war erstaunt, welches Tempo er vorlegte. Sogar von hinten war ihm der Verdruss anzusehen.
    »So warten Sie doch!« rief ich laut, was allerdings allein dazu führte, dass mich einige Passanten misstrauisch ansahen. Von der Hitze und dem gleißenden Licht wurde mir ganz schwindlig, gleichzeitig empfand ich eine wachsende Wut über das Verhalten des Professors. Es war anzunehmen, dass die Zahnbehandlung schmerzhaft gewesen war, aber deshalb musste er noch lange nicht so reagieren. Alles wäre sicher noch sehr viel schlimmer geworden, wenn ich ihn nicht zum Arzt gebracht hätte. Selbst Root hätte die Behandlung tapfer über sich ergehen lassen. Vielleicht hätte ich ihn mitnehmen sollen! Dann wäre der Professor sicher etwas vernünftiger gewesen. Ich hatte jedenfalls mein Versprechen gehalten und auf ihn gewartet …
    Ich weiß, es war gemein von mir, aber ich überlegte einen Moment, ob ich ihn einfach allein weiterlaufen lassen sollte, und verlangsamte derweil meine Schritte. Er lief immer noch schnurstracks geradeaus, als würde es ihm nichts ausmachen,

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