Das Geheimnis der Götter
wachte.
»Wärt Ihr bereit, mir den Eingang zu seinem Grab zu zeigen?«
»Nein.«
»Der König hat mir einen schwierigen Auftrag anvertraut, und ich will bestimmt niemanden beleidigen. Trotzdem muss ich mich davon überzeugen, dass die heiligen Pflichten ordnungsgemäß ausgeführt werden – und dazu zählen auch Eure Aufgaben.«
»Freut mich, das zu hören.«
»Seid Ihr bereit, Eure Haltung noch einmal zu überdenken?«
»Ausschließlich diejenigen, die in die Mysterien eingeweiht sind, haben Zugang zum Grab von Osiris. Meine Sachkenntnis, meine Ernsthaftigkeit und meine Rechtschaffenheit in Frage zu stellen, käme einer wüsten Beschimpfung gleich. Deshalb müsst Ihr Euch mit meinem Wort zufrieden geben.«
»Bedaure, aber ich will noch mehr wissen. Die Überprüfung der Siegel dauert nicht den ganzen Tag. Womit beschäftigt Ihr Euch die restliche Zeit?«
Der Ritualist sah Iker empört an. »Ich arbeite für den Kahlen, und der Tag hat für mich mehr Aufgaben als Stunden. Wenn er mag, kann er sie Euch schildern. Ich muss jetzt los und eine davon erfüllen.«
»Dieser Priester ist so etwas wie meine rechte Hand«, bestätigte der Kahle, als Iker ihn danach fragte. »Vielleicht ein wenig abweisend, aber sehr fleißig und ergeben. Ich selbst überprüfe immer wieder einmal die Unversehrtheit der Siegel und konnte noch nie einen Fehler entdecken. Aber stell dir auch in diesem Fall einmal vor, welchen Gewinn der Prophet aus diesem Verrat hätte ziehen können. Jetzt musst du nur noch Bega kennen lernen. Er ist für die Trankopfer verantwortlich, die täglich auf die Opfertische gegossen werden.«
Mit ungnädiger Miene, kalt und streng, sah der groß
gewachsene Ritualist seinen Besucher von oben herab an.
»Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir und möchte mich jetzt ausruhen.«
»In Ordnung, natürlich, dann sehen wir uns eben morgen«, schlug Iker vor.
»Nein, das will ich nicht, dann bringen wir es lieber gleich hinter uns! Meine Brüder und ich wissen, was für eine bedeutende Persönlichkeit Ihr seid, und wir wollen Euch unbedingt zufrieden stellen. Aber Euer Verhalten verärgert uns. Ständige Priester von Abydos zu verdächtigen –
ungeheuerlich!«
»Wünscht Ihr denn nicht, dass Eure Unschuld bewiesen wird?«
»Die stellt niemand in Frage, Königlicher Sohn!«
»Mein Auftrag besagt aber doch das Gegenteil?«
Bega wirkte verwirrt. »Ist der Pharao etwa unzufrieden mit unserer Bruderschaft?«
»Er glaubt, eine gewisse Uneinigkeit zu beobachten.«
»Was könnte denn der Grund dafür sein?«
»Die Gegenwart eines Gehilfen unseres erklärten Feindes, des Propheten, hier im Reich von Osiris.«
»Ausgeschlossen!«, widersprach Bega mit heiserer Stimme.
»Gäbe es dieses Ungeheuer, würde es Abydos vertreiben. Niemand könnte den Zusammenhalt der ständigen Priester untergraben.«
»Das tröstet mich.«
»Hat der Königliche Sohn denn auch nur für einen kurzen Augenblick geglaubt, dass einer von uns ein Verräter sein könnte?«
»Auch auf diese Möglichkeit musste ich gefasst sein.«
Die Andeutung eines Lächelns überzog Begas verschlossenes Gesicht.
»Ich vermute eher, der Prophet ist so gerissen, durch derartige Erfindungen für Unfrieden unter uns zu sorgen. Fehlende Weitsicht würde uns ins Verderben stürzen. Wie Recht der Pharao hatte, Euch zu erwählen! Trotz Eurer Jugend seid Ihr erstaunlich reif, Abydos wird es Euch danken.«
Dieser Teil von Ikers Untersuchung endete in einer Sackgasse.
5
In einem langen Faltenkleid mit einem Umhang, der ihre rechte Schulter freiließ, und mit einer vierreihigen Halskette, kostbaren Ohrringen und breiten Armreifen geschmückt, trat die Priesterin der Hathor vor Isis, die Oberpriesterin, und verneigte sich vor ihr. Die Königin hatte Nephthys, deren Name »Herrin des Tempels« bedeutete, die Leitung der Leinenweberei in Memphis anvertraut. Auf Befehl der Herrscherin hatte sie die Stadt verlassen und sich aus dringendem Anlass nach Abydos begeben.
»Unsere Älteste ist gestorben«, berichtete ihr Isis. »Eine andere Eingeweihte muss so schnell wie möglich ihren Platz einnehmen, damit die Sieben wieder vollständig ist. Weil du so erfahren im Umgang mit den Ritualen bist, hat man dich dafür bestimmt.«
»Euer Vertrauen ehrt mich, ich werde bemüht sein, Euch nicht zu enttäuschen.«
Nephthys sah Isis verblüffend ähnlich. Sie war genauso alt und groß wie sie, hatte die gleiche Gesichtsform und die gleiche schlanke Gestalt. Die
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