Das Geheimnis der Götter
wenn es hier gar keine Toten gab, glaubte er doch ihre Gegenwart zu spüren. Erregte man nicht ihren wüsten Zorn, wenn man so ihre Ruhe störte?
In der Kapelle stand ein Gespenst.
Ein großer Priester mit kahlem Schädel und roten Augen sah ihn so unverwandt an, dass er fast erstarrte.
»Das kann doch nicht sein… Seid Ihr etwa…?«
»Wer mich verrät, lebt nicht mehr lange, Gergu.«
Der winzige Seth-Kopf, der in seine Handfläche gebrannt war, tat ihm auf einmal so weh, dass er beinahe einen Schmerzensschrei ausgestoßen hätte.
»Ihr könnt mir vertrauen, Herr!«
»Deine Beteuerungen sind mir gleichgültig. Was zählt, sind allein die Ergebnisse. Warum bist du hier?«
»Medes macht sich Sorgen«, gab Gergu zu. »Er möchte wissen, was Iker in Wahrheit vorhat, und glaubt, Bega könnte ihm das sagen.«
»Hältst du dieses Vorgehen für angemessen?«
Gergus Kehle war vor Angst wie zugeschnürt, und er konnte kaum schlucken.
»Das müsst Ihr entscheiden, Herr!«
»Sehr richtig«, meinte Shab der Krumme ungerührt. Wie immer griff der Rothaarige von hinten an und bohrte Gergu die Spitze seines Messers in den Nacken.
Als kleiner Gauner ohne Zukunft hatte er den wahren Glauben für sich entdeckt, als er den Propheten predigen hörte. Er hasste alle Frauen und Ägypter und war jederzeit bereit, einen Ungläubigen zu töten, um seinem Herrn einen Gefallen zu erweisen.
»Soll ich diesen Abtrünnigen beseitigen?«
»Ich bin kein Verräter!«, rief Gergu entsetzt.
»Ich verzeihe ihm«, erklärte der Prophet.
Die Messerspitze wurde entfernt und hinterließ eine kleine blutende Wunde.
»Jetzt ist nicht die passende Zeit, um mit Stelen zu handeln«, sagte der Herr über die Verschwörung des Bösen. »Bereichern kannst du dich später, mein tapferer Gergu, vorausgesetzt du gehorchst mir weiter blind. Wie ist es, Bega, kannst du die Frage von Medes beantworten?«
»Iker, der Königliche Sohn und Einzige Freund, spielt bei den bevorstehenden Feiern der Mysterien des Osiris eine entscheidende Rolle. Der Pharao hat ihm die Goldene Palette anvertraut, damit er die Bruderschaften der ständigen und zeitweiligen Priester führen kann. Aus sicherer Quelle weiß
ich, dass Iker eine neue Osiris-Statue anfertigen und seine Barke erneuern lässt. Bei den Handwerkern steht er inzwischen in hohem Ansehen und sorgt dafür, dass alles rechtzeitig fertig wird. Er hat aber noch einen anderen Auftrag: Er hat sämtliche ständigen Priesterinnen und Priester befragt, weil er den Verdacht hat, eine oder einer von ihnen macht mit dem Propheten gemeinsame Sache.«
Gergu fuhr erschrocken hoch. »Dann sind wir verloren!«
»Gewiss nicht, denn in diesem Punkt hat der Königliche Sohn versagt. Seine eifrigen Nachforschungen haben nicht einen einzigen stichhaltigen Hinweis geliefert.«
»Leider will er auch die Zeitweiligen ausfragen«, erläuterte der Prophet. »Und außerdem wäre er beinahe Bina über den Weg gelaufen. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass er Isis geheiratet hat, deren Scharfsinn uns schaden könnte.«
»Was schlagt Ihr also vor?«, fragte der Priester mit dem hässlichen Gesicht.
»Wir dürfen nichts überstürzen und müssen mit deiner Hilfe erst einmal die geheimen Orte kennen lernen, mein Guter.«
Bega wäre eigentlich gern im Hintergrund geblieben; es gefiel ihm nicht, so unmittelbar in die Sache verwickelt zu werden.
»Zögerst du etwa?«
»Natürlich nicht, Herr! Aber wir müssen äußerst vorsichtig sein und dürfen nur handeln, wenn wir ganz sicher sind.«
»Mit unserer heimlichen Anwesenheit in Abydos verfügen wir über den entscheidenden Vorteil, Wir führen mehrere Schläge gleichzeitig, von denen sich Sesostris nicht erholen wird. Muss er erst zugeben, dass Osiris ein für alle Mal tot ist, wird sein Reich zugrunde gehen.«
Die entschlossene Zuversicht des Propheten beruhigte seine Schüler.
»Wir haben aber noch ein weiteres Ziel, das wir nicht vergessen dürfen: Memphis. Wie sieht es dort aus, Gergu?«
»Wir haben es dort mit einer großen Schwierigkeit zu tun, Herr: mit Sobek dem Beschützer. Ich fürchte, er könnte unseren Ring zerschlagen. Er müsste unbedingt aus dem Weg geräumt werden, aber wie?«
»Das lässt sich hiermit erledigen.«
Der Prophet holte das Kästchen aus Akazienholz hervor, in dem er die Königin der Türkise aufbewahrt hatte.
»Ich vertraue es dir an, Gergu. Aber du darfst es auf keinen Fall öffnen. Wenn du das tust, wirst du sterben.«
»Was soll ich damit
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