Das Geheimnis der Götter
erklärte die junge Frau. »Nur die ständigen Priester dürfen sich in ihm reinigen und die Kraft des Nun daraus schöpfen, die hier am stärksten ist, weil sie mit den Strömen des verborgenen Gottes in Verbindung steht. Bei wichtigen Festtagen und zur Zeit der großen Mysterien verwendet Anubis das Wasser aus diesem See. Er wäscht damit die Eingeweide von Osiris und macht sie so unvergänglich. Kein Weltlicher darf bei diesem Mysterium zugegen sein.«
»Aber du bist dabei gewesen.«
Isis antwortete nicht.
»Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass du nicht nur eine Frau bist. Dein Blick ist beseelt von der Welt des Jenseits, du zeigst mir einen Weg, dessen Wesen ich nicht kenne. Ich liefere mich aus, dir, meinem Leitstern, meiner Liebe.«
Die Wasseroberfläche des Sees funkelte und blitzte silbern und golden. Arm in Arm genossen die beiden jungen Leute diesen Augenblick unerhörten Glücks.
Endlich gehörte Iker nach Abydos. Er hatte seine wahre Heimat – das Große Land – gefunden.
»Warum machst du dir solche Sorgen um den Baum des Lebens?«, fragte er Isis.
»Weil seine Genesung nicht endgültig ist, eine finstere Gewalt treibt sich in der Nähe der Akazie herum. Unsere täglichen Rituale konnten sie zwar bisher vertreiben, aber sie kommt immer wieder. Werden wir ihr standhalten können, wenn sie stärker wird?«
»Hält der Kahle diese Bedrohung für gefährlich?«
»Es raubt ihm den Schlaf, dass er den Urheber dieser unheilvollen Wellen nicht entdecken kann.«
»Ist es denn möglich, dass sich dieser Urheber hier in Abydos befindet?«
Isis’ Blick wurde düster.
»Diese Möglichkeit können wir auf keinen Fall
ausschließen.«
»Damit bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen des Königs! Ein Abgesandter des Propheten muss also die Absperrungen überwunden haben und scheint hier
Vorbereitungen für den nächsten Angriff seines Herrn zu treffen.«
Die Priesterin wollte ihm nicht widersprechen.
»Machen wir uns nichts vor«, meinte Iker. »Ich habe noch nicht mit den Verhören begonnen, weil ich Abydos erst kennen lernen wollte. Jetzt bin ich gezwungen, alle ständig Anwesenden zu befragen.«
»Schone keinen und finde die Wahrheit heraus.«
Der Kommandeur der Sicherheitskräfte von Abydos durchsuchte die hübsche Bina höchstpersönlich, die sich das widerstandslos gefallen ließ.
»Bedaure, meine Schöne. Aber Befehl ist Befehl.«
»Das verstehe ich schon. Trotzdem solltest du mich inzwischen eigentlich kennen.«
»Die Sicherheit erfordert eine ständige Wiederholung der Überprüfungen. Da gibt es allerdings unangenehmere als bei dir, das muss ich schon zugeben.«
Bina lächelte gelassen und ließ ihn machen.
»Was glaubst du denn, was ich unter meinem kurzen Rock zu verbergen habe? Mein Korb ist jedenfalls leer.«
Der Wachoffizier wurde rot vor Verlegenheit und beendete die Untersuchung. Auch wenn er nur seine Anweisungen befolgte, musste er sich doch eingestehen, dass ihn diese schöne, sanfte dunkelhäutige junge Frau unwiderstehlich anzog.
»Gefällt dir die Arbeit hier, Bina?«
»Dass ich den ständigen Priestern dienen darf, ist für mich eine große Ehre. Entschuldige mich jetzt bitte, ich will nicht zu spät kommen.«
Und die Königin der Nacht ging zu einem Nebengebäude des Tempels von Sesostris. Man reichte ihr frisches Brot und einen Krug Bier, das sie dem Priester bringen musste, der über die Unversehrtheit des Großen Leichnams von Osiris wachte und immer wieder zu prüfen hatte, ob die Siegel am Tor zum Grab des Gottes nicht beschädigt waren.
Kein zeitweiliger Besucher von Abydos hatte Zutritt zu diesem Ort.
Wie alle Dienerinnen, die für das Wohlergehen der ständigen Priester zu sorgen hatten, begnügte sich auch Bina damit, sie zu Hause in ihren bescheidenen, aber peinlich sauberen und ordentlichen Unterkünften aufzusuchen.
Der Priester, der für die Siegel zuständig war, las gerade einen Papyrus.
»Ich bringe Euch zu essen und zu trinken«, murmelte Bina schüchtern.
»Danke.«
»Wo soll ich das Brot und den Krug hinstellen?«
»Auf den niedrigen kleinen Tisch links neben der Tür.«
»Was möchtet Ihr heute zu Mittag essen? Dörrfleisch, Barsch oder gebratenes Rindfleisch?«
»Heute genügt mir das frische Brot.«
»Seid Ihr etwa krank?«
»Das geht dich nichts an, Kindchen.«
Dieser Priester erwies sich als ebenso abweisend wie seine Mitbrüder. Binas Verführungskünste waren auch bei ihm wirkungslos.
»Ich
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