Das Geheimnis der Götter
Iker. Als ich dich auserwählte, habe ich mich nicht getäuscht. Kein anderer Mann hätte all diese Herausforderungen bewältigen können. Jetzt bist du am Ende deines außergewöhnlichen Schicksals angelangt – Erbe und Nachfolger des Pharaos, Verwalter der großen Mysterien, geistiger und unersetzlicher Sohn. Deshalb musst du sterben. Seiner Zukunft beraubt, wird Sesostris zu Boden gehen und Ägypten mit sich in den Untergang reißen.«
Iker nahm seine letzte Kraft zusammen, packte den Weinbecher und versuchte, das Ungeheuer damit zu treffen. Aber Shab der Krumme tauchte hinter ihm auf und riss Ikers Arme zurück, so dass der seine Waffe fallen ließ und sich wieder setzen musste.
»Deine Kräfte schwinden allmählich«, sagte ihm der Prophet voraus. »Ich habe viel aus den Schriften in Sesostris’ Tempel gelernt. Was die Lehre von den Giften anbelangt, sind die ägyptischen Gelehrten wirklich herausragend. Ihr Wissen über die Heilungsmöglichkeiten mit Schlangen-und Skorpiongift verdient die größte Hochachtung. Ich habe den Geschmack dieses großen Weins verdorben, als ich ihm einen tödlichen Stoff zusetzte. Im Übrigen wird die neue Lehre den Genuss von Wein und Schnaps grundsätzlich verbieten. Du gehst also gewissermaßen an den liederlichen Sitten dieses verfluchten Landes zugrunde.«
Nun kam auch noch Bina dazu.
»Endlich sehe ich dich am Boden liegen – kampfunfähig! Du wolltest ganz nach oben, deinen tiefen Fall finde ich umso wunderbarer.«
Iker war schweißgebadet und bewegungsunfähig und spürte, dass er sterben musste.
»Ehe dich das Nichts verschlingt, will ich dir noch die Zukunft schildern, die sich jetzt abzeichnet«, fuhr der Prophet fort. »Wegen deines Verschwindens bekommt der Sockel, auf dem die Zwei Länder ruhen, irreparable Risse. Völlig niedergeschmettert versinkt Sesostris in Unglück. Seine Vertrauten lassen ihn im Stich, und meine Anhänger wüten in Memphis. Nur wer sich zum wahren Glauben bekehren lässt, überlebt. Alle Ungläubigen werden zugrunde gehen. Bildhauerei, Malerei, Dichtung und Musik sind ab sofort verboten. Meine Worte werden vervielfältigt und ohne Unterlass wiederholt – für eine andere Lehre gibt es keinen Bedarf mehr. Wer auch immer es wagen sollte, meine Wahrheit anzuzweifeln, wird hingerichtet. Frauen, diese niederen Geschöpfe, dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen, müssen ihren Männern dienen und ihnen Tausende von Söhnen schenken, die wir dann zu einer Eroberungsarmee machen, mit der wir unseren Glauben auf der ganzen Welt verbreiten. Kein noch so winziges Stückchen des weiblichen Körpers darf entblößt sein, und jeder Mann kann sich so viele Frauen nehmen, wie er will. Mit dem Gold der Götter werde ich eine neue Wirtschaft aufbauen, die meinen Getreuen Wohlstand sichert. Und vor allem, Iker – Osiris wird nie wieder auferstehen.«
»Da täuschst du dich, du böser Geist! Mein Tod ändert gar nichts, der Pharao wird dich vernichten.«
Der Prophet lächelte nachsichtig. »Du kannst deine Welt nicht retten, du kleiner Schreiber, weil ich sie verdammt habe. Ich aber bin unzerstörbar.«
»Du irrst dich… Das Licht… das Licht wird dich besiegen.«
Ikers Lippen verzerrten sich, Feuer schoss durch seine Adern, seine Gliedmaßen wurden steif – es ging mit ihm zu Ende. Doch der Tod machte ihm keine Angst, weil er gegen das Böse gekämpft hatte.
Er betete zum Pharao, seinem Vater, und seine letzten Gedanken galten Isis, die so nah und doch so fern war. Seine ganze Liebe legte er in einen letzten Seufzer, sicher, dass sie ihn nicht verlassen würde.
Bega untersuchte den Leichnam als Erster.
»Der stört uns nicht mehr«, stellte er gleichgültig fest. Dann riss er dem Königlichen Sohn die Goldkette vom Hals und zertrampelte das Amulett, das daran hing, das Zepter der Macht. Schließlich entfernte er das Tischtuch, unter dem sich ein hölzerner Sarkophag verbarg, in den er mit Shabs Hilfe Ikers Körper legte.
»Nehmt ihn mit und stellt ihn in der Nähe des Tempels von Sesostris ab«, befahl der Prophet. »Mir bleibt noch viel zu tun.«
»Der Sturm wird aber immer schlimmer«, klagte Bina besorgt.
Zärtlich strich er ihr übers Haar. »Glaubst du wirklich, dass mich ein harmloser kleiner Sandwind davon abhalten könnte, Osiris’ Grab zu schänden?«
»Dann seid sehr vorsichtig, Herr! Der magische Schutz an diesem Ort soll jeden Eindringling abhalten.«
»Iker gibt es nicht mehr, der Geist kann nicht mehr weitergereicht werden,
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