Das Geheimnis der Götter
er in seiner ganzen Vielfalt genoss – vom Sonnenuntergang im Beisein seiner Frau bis hin zur angemessenen Feier eines Rituals.
Nephthys war eine überaus geschickte Spinnerin und Weberin. Die Stoffe und Gewänder, die sie für die Mysterienfeier im Monat Khoiak angefertigt hatte, waren von strahlender Schönheit. Sogar der Kahle, der sonst mit Lob sehr geizte, bewunderte das Können der jungen Priesterin. Gemeinsam mit Isis überprüfte sie zur Sicherheit noch einmal die Bestände. Es durfte nichts fehlen.
»Du kennst doch bestimmt die meisten zeitweiligen Bewohner hier?«, sagte Nephthys.
»Mehr oder weniger, vor allem die Alten und Treuen, die immer wieder kommen.«
»Ich meine aber einen Mann, der erst seit kurzem im Tempel der Millionen Jahre von Sesostris arbeitet. Ein sehr schöner, großer Mann, vornehm und wirklich ganz angenehm… Zu Hause bohrt er Schalen aus Granit. Ein schwieriger Beruf, den er hervorragend beherrscht. Hier bei uns hat er die Aufgabe, die Becher und Schalen für die Rituale zu reinigen. Meiner Meinung nach verdient er etwas Besseres. Vielleicht wäre er sogar zum ständigen Priester geeignet.«
»Welch Begeisterungssturm! Hat er dich etwa verführt?«
»Mag sein.«
»Ganz sicher!«
»Wir haben zusammen zu Abend gegessen«, gestand ihr Nephthys, »und wir treffen uns bald wieder. Er ist klug, fleißig, anziehend, aber…«
»Stört dich irgendetwas an ihm?«
»Seine Sanftmut kommt mir irgendwie übertrieben vor, so als würde sich hinter dieser Maske eine gefährliche Gewaltbereitschaft verbergen. Wahrscheinlich bilde ich mir das aber nur ein.«
»Höre auf deine Eingebung, ehe du dich weiter vorwagst.«
»Hast du bei Iker ähnliche Empfindungen gehabt?«
»Nein, Nephthys. Ich wusste nur, dass seine Liebe ernst gemeint und ohne Einschränkungen ist und dass er alles von mir forderte. Es war so gewaltig, dass es mich erschreckte, ich war mir nicht mehr sicher, wollte ihn aber auch nicht belügen. Trotzdem musste ich oft an ihn denken, er hat mir gefehlt. Ganz allmählich verwandelte sich diese magische Verbindung in Liebe, und ich begriff, dass es für mich keinen anderen Mann geben würde.«
»Gibt es nichts, was deine Sicherheit erschüttern könnte?«
»Nein, im Gegenteil, sie wird jeden Tag größer.«
»Du hast wirklich sehr viel Glück, Isis. Ich weiß nicht, ob mir mein schöner Freund auch so viel Glück schenken wird!«
»Denk an deine Eingebung.«
Wie eine Raubkatze, die ständig auf der Hut ist, spürte Shab der Krumme, dass sich jemand seinem Versteck näherte. Vorsichtig schob er einen der Zweige zur Seite, die den Eingang zu der Kapelle verdeckten, und sah die massige Gestalt von Bega auf sich zukommen.
Der Krumme konnte diesen großen hässlichen Mann überhaupt nicht leiden und fragte sich, warum sich die ständigen Priester von seinem falschen Blick so täuschen ließen. An ihrer Stelle hätte er sich vor diesem gestrengen, unnachgiebigen Mann mit seinen unterdrückten Begierden in Acht genommen. Bega sah eine strahlende Zukunft an der Spitze einer bereinigten Priesterschaft vor sich, doch da irrte er sich gewaltig. Denn die Säuberung würde er, der Krumme, übernehmen, und der große hässliche Mann gehörte zu seinen ersten Opfern. Musste man nicht alle Spuren der Vergangenheit tilgen, um eine Welt zu schaffen, die den Vorstellungen des Propheten entsprach?
»Bist du allein?«, fragte Shab misstrauisch.
»Ja, ich bin allein, du kannst dich zeigen.«
Den Dolch in der Hand und zum Sprung bereit, gehorchte der Krumme.
»Eine günstige Gelegenheit zeichnet sich ab«, sagte der Priester, »bereite dich darauf vor, Iker zu töten.«
Die beiden Ritualisten trugen Schakalmasken, um die Rolle des Wege-Öffners zu spielen, der eine nach Süden, der andere nach Norden.
»Euer Schicksal soll sich erfüllen!«, befahl Iker. »Tretet vor und kümmert euch um euren Vater Osiris.«
Ein Lanzenträger, der den Auftrag hatte, die ferne Göttin, die sich ins tiefste Nubien geflüchtet hatte, zurückzuholen und die schreckliche Löwin in eine friedliche Kätzin zu verwandeln, beschützte die Schakale. Ein ibisköpfiger Thot ganz in ihrer Nähe trug die magischen Worte, die unerlässlich waren, um die finsteren Mächte fern zu halten, die die Osiris-Prozession um jeden Preis zerstören wollten.
Im Mittelpunkt stand die Barke von Osiris. Sie sollte ein Stück weit fahren, über den heiligen See gleiten und das Sichtbare mit dem Unsichtbaren verbinden. »Der Herr
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