Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
… die Welt …
Simon richtete sich auf. Er war schon wieder eingenickt. Bei Gott, der Schlaf war ein heimtückischer Feind. Man konnte ihm nicht entgegentreten und kämpfen, er wartete, bis man den Blick abwendete, und schlich sich dann ganz leise an. Aber Simon hatte sein Wort gegeben, und jetzt, da er ein Mann sein würde, musste sein Wort ein feierliches Gelöbnis sein. Also würde er wach bleiben. Diese Nacht war eine besondere Nacht.
Als die Dämmerung kam, hatten ihn die Armeen des Schlafs zu drastischen Maßnahmen gezwungen, es aber nicht geschafft, ihn völlig zu besiegen. Als Jeremias mit einer Kerze in der Hand und gebeugt unter dem Gewicht seines Auftrags die Sternwarte betrat, fand er Simon im Schneidersitz vor. Er saß in einer Pfütze rasch gefrierenden Wassers. Das nasse rote Haar hing ihm in die Augen, und die weiße Strähne darin war starr wie ein Eiszapfen. Simons längliches Gesicht strahlte triumphierend.
»Ich hab mir den ganzen Wasserschlauch über den Kopf gegossen«, verkündete er stolz. Seine Zähne klapperten so laut, dass Jeremias ihn bitten musste, den Satz zu wiederholen. »Wasser über den Kopf gegossen. Zum Wachbleiben. Was willst du hier?«
»Es ist Zeit«, erwiderte der andere. »Der Morgen graut schon. Zeit für dich mitzukommen.«
»Ah.« Simon erhob sich unsicher. »Ich bin wach geblieben, Jeremias. Bin nicht einmal eingeschlafen.«
Jeremias nickte. Er lächelte vorsichtig. »Gut so, Simon. Komm jetzt. Strangyeard hat ein Feuer.«
Simon, der sich schwächer und kälter fühlte, als er gedacht hatte, legte den Arm um die magere Schulter des anderen Jungen, um sich zu stützen. Jeremias war so dünn geworden, dass es Simon schwerfiel,sich zu erinnern, wie er früher ausgesehen hatte: ein feister Wachszieherlehrling mit Dreifachkinn, immer schnaufend und schwitzend. Bis auf den gehetzten Blick, der von Zeit zu Zeit in seine dunkel umschatteten Augen trat, sah Jeremias aus wie ein hübscher, junger Knappe – der er auch war.
»Ein Feuer?« Simon hatte endlich den Sinn der Worte seines Freundes in sich aufgenommen. Ihm war ganz schwindlig. »Ein richtiges Feuer? Und etwas zu essen?«
»Es ist ein ausgezeichnetes Feuer«, antwortete Jeremias feierlich. »Eines habe ich gelernt … dort unten in den Schmieden. Wie man ein richtiges Feuer macht.« Langsam und gedankenverloren schüttelte er den Kopf, sah auf und begegnete Simons Blick. Ein Schatten flackerte hinter seinen Augen auf und verschwand schnell wieder wie ein durchs Gras gejagter Hase, dann kehrte das wachsame Lächeln zurück. »Was das Essen betrifft … nein, natürlich nicht. Noch eine ganze Weile nicht, und das weißt du auch. Aber mach dir keine Sorgen, du gefräßiges Schwein, heute Abend bekommst du wahrscheinlich einen Kanten Brot oder etwas in der Art.«
»Hund«, sagte Simon grinsend und lehnte sich absichtlich so schwer auf ihn, dass Jeremias unter dem zusätzlichen Gewicht strauchelte. Nur unter vielen Flüchen und gegenseitigen Beleidigungen gelang es ihnen, sich über die eisigen Steinplatten zu bewegen, ohne auszurutschen. Gemeinsam torkelten sie durch das Tor der Sternwarte, hinaus in das blasse, grauviolette Glühen der Morgendämmerung. Über den ganzen Gipfel des Abschiedssteins ergoss sich das östliche Licht, aber es sang kein einziger Vogel.
Jeremias hatte nicht zu viel versprochen. Das Feuer, das in Vater Strangyeards mit einer Zeltplane überdachter Kammer loderte, war herrlich heiß – und das war gut, denn Simon hatte das Gewand abgelegt und war in einen hölzernen Zuber gestiegen. Während er die weißen Steinmauern ringsum mit ihren gemeißelten, verschlungenen Ranken und den winzigen Blumen betrachtete, malte der Flammenschein kleine Wellen auf das Mauerwerk, sodass es schien, als wogten die Wände unter seichtem, orangerotem Wasser.
Vater Strangyeard hob einen neuen Wasserkrug und goss ihnüber Simons Kopf und Schultern aus. Anders als das Bad, das er sich gerade selber angetan hatte, war dieses Wasser zumindest angewärmt. Während es über sein eiskaltes Fleisch rann, erinnerte es Simon mehr an Blut als an Wasser.
»Möge dieses … möge dieses Wasser Sünde und Zweifel abwaschen.« Strangyeard stockte und spielte mit seiner Augenklappe. Sein einziges Auge war zugekniffen und von einem Netz aus Runzeln umgeben, während er sich an den nächsten Satz des Gebetes zu erinnern versuchte. Simon wusste, dass Strangyeard nervös war, nicht vergesslich. Der Priester hatte den größten
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