Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
Fackeln, die den Berg hinaufstiegen, so wie Simon selbst den Pfad hinaufgeklettert war, der in Windungen um Sesuad’ra herumführte, damals, als er aus Jao é-Tinukai’i gekommen war.
Jetzt konnte Simon die in Kapuzenmäntel gehüllten Gestalten sehen, aus denen der Zug bestand, ein schweigendes Heer, das sich mit zeremonieller Präzision vorwärtsbewegte.
Ich bin auf der Straße der Träume! , begriff er plötzlich. Amerasu hat gesagt, dass ich ihr näher bin als andere.
Aber was war es, das er sah?
Die Reihe der Fackelträger erreichte eine ebene Stelle und breitete sich zu einem funkelnden Fächer aus, sodass ihre Lichter weit auf beide Seiten des Gipfels getragen wurden. Ja, es war Sesuad’ra, zu dem sie hinaufgestiegen waren, aber ein Sesuad’ra, der anders war als der Ort, den Simon kannte. Die Ruinen, die ihn umgeben hatten, waren keine Ruinen mehr. Die Säulen und Mauern ragten unversehrt empor. War das die Vergangenheit – der Stein des Abschieds, wie er einst gewesen war – oder eine seltsame Zukunft, in der man ihn wieder aufbauen würde, vielleicht wenn der Sturmkönig ganz Osten Ard unterworfen hätte?
Die Menge strömte dem flachen Platz zu, in dem Simon den Feuergarten wiedererkannte. Dort steckten die verhüllten Gestalten ihre Fackeln in Ritzen zwischen den Bodenplatten oder auf steinerne Sockel, sodass tatsächlich ein Garten aus Feuer aufblühte, ein Feld aus flackerndem, wogendem Licht. Die vom Wind angefachten Flammen tanzten. Funken sprühten zahlreicher als selbst die Sterne.
Plötzlich fand sich Simon von den vorwärtsdrängenden Massen mitgerissen, hinunter nach dem Abschiedshaus. Er stürzte durch die glitzernde Nacht, glitt geschwind durch steinerne Mauern undschwebte wie ein körperloses Wesen in die hell erleuchtete Halle hinein. Alles geschah lautlos bis auf ein stetiges Rauschen in seinen Ohren. Wenn er genauer hinsah, schienen sich die Bilder vor ihm zu verschieben und an den Rändern zu verwischen, als habe sich die Welt ein winziges Stück aus ihren Angeln gedreht. Verstört wollte Simon die Augen schließen, stellte jedoch fest, dass sein Traum-Ich unfähig war, die Visionen auszusperren; er konnte nur zuschauen, ein hilfloses Gespenst.
An der großen Tafel stand eine Vielzahl von Gestalten. In Nischen an allen Wänden hatte man Kugeln mit kaltem Feuer gestellt. Ihr blaues, orange und gelbes Glühen warf lange Schatten auf die gemeißelten Mauern. Andere, tiefere Schatten warf das, was auf der Tafel stand, ein Gebilde aus konzentrischen Sphären, ähnlich dem großen Astrolabium, das Simon oft für Doktor Morgenes poliert hatte. Dieses hier jedoch bestand nicht aus Messing und Eichenholz, sondern nur aus glühenden Lichtlinien, als hätte jemand die phantastischen Umrisse mit flüssigem Feuer in die Luft gemalt. Er konnte die Wesen, die sich am Tisch bewegten, nur verschwommen wahrnehmen, aber dennoch wusste Simon genau, dass es sich um Sithi handelte. Diese vogelähnliche Haltung, diese seidige Anmut waren unverkennbar.
Eine Sitha im himmelblauen Gewand lehnte sich über die Tafel und schrieb in Fingerflammenspuren geschickt in das glühende Gebilde. Ihr Haar war schwärzer als Schatten, schwärzer sogar als der Nachthimmel über Sesuad’ra, eine üppige Wolke aus Dunkelheit um Kopf und Schultern. Einen Augenblick dachte Simon, es könne Amerasu sein, als sie noch jung war. Aber obwohl vieles an ihr ihn an Erste Großmutter erinnerte, waren viele andere Züge ihm fremd.
Neben ihr stand ein weißbärtiger Mann in wallendem, scharlachrotem Gewand. Etwas, das an bleiche Geweihstangen erinnerte, spross aus seiner Stirn. Simon überlief es kalt – er hatte in anderen, schlimmeren Träumen Ähnliches gesehen. Der bärtige Mann beugte sich vor und sprach zu der Frau. Sie drehte sich um und fügte dem Entwurf einen weiteren Feuerwirbel hinzu.
Während Simon das Gesicht der dunklen Frau nicht genau ausmachen konnte, war die andere, die ihr gegenüberstand, nur allzudeutlich zu erkennen. Ihre Züge waren hinter einer Maske aus Silber verborgen, der Rest ihres Körpers unter eisweißen Gewändern. Wie um der Schwarzhaarigen zu antworten, hob die Nornenkönigin den Arm und schleuderte eine Linie aus stumpfem Feuer quer über das ganze Gebilde. Dann winkte sie ein zweites Mal mit der Hand und warf ein Netz aus sacht qualmendem Purpurlicht über den äußersten Globus.
Der Mann an ihrer Seite folgte gelassen jeder ihrer Bewegungen. Er war groß und kraftvoll gebaut. Eine
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