Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
dünner Wind auf einem Fledermausflügel, entrang sich Utuk’kus Lippen. Der Gesang der Lichtlosen verstummte einen Augenblick vor dem Schwall ihres Zorns. Doch gleich darauf hoben sich von neuem ihre Stimmen, dumpf und triumphierend. Da war jemand, der an einem der Meisterzeugen herumspielte,nur ein Jüngling, wenn auch aus dem Geschlechte Amerasus der Schiffgeborenen. Sie würde den Welpen hart strafen. Auch dieser Schaden ließ sich beseitigen. Sie würde sich nur ein wenig mehr konzentrieren, noch einmal ihre Gedanken sammeln müssen. Sie war müde, aber nicht zu müde.
Es mochte tausend Jahre her sein, dass die Nornenkönigin zum letzten Mal gelächelt hatte, aber wenn sie noch gewusst hätte, wie man es tat, hätte sie es jetzt vielleicht versucht. Selbst die Ältesten unter den Hikeda’ya kannten keine andere Gebieterin als Utuk’ku. Es war verzeihlich, wenn manche von ihnen dachten, sie sei kein lebendes Wesen mehr, sondern eine Erscheinung wie der Sturmkönig, ganz aus Eis und Magie und endloser, unablässig wachender Bosheit. Utuk’ku wusste es besser. Obgleich die Jahrtausende, die einige ihrer Nachkommen bereits auf der Welt waren, nur einen Bruchteil ihrer eigenen Lebenszeit ausmachten, steckte unter den leichenweißen Gewändern und der schimmernden Maske noch immer eine Frau. In ihrem uralten Fleisch schlug immer noch ein Herz, langsam und stark wie ein blindes Tier, das am Grunde eines tiefen, schweigenden Meeres geduldig wartet.
Ja, sie war müde, aber sie war nach wie vor wild und mächtig. So lange hatte sie gewartet und ihre Netze gesponnen, dass selbst das Gesicht des Landes über ihr sich im Lauf der Zeit verschoben und verändert hatte. Sie würde am Leben bleiben, bis sie ihre Rache ausgekostet hatte.
Die flackernden Lichter des Brunnens spiegelten sich auf dem leeren Metallgesicht, das sie der Welt zukehrte.
Vielleicht, dachte Utuk’ku, würde sie sich in der Stunde ihres Triumphes wieder daran erinnern, wie man lächelte.
»Ah, beim Hain!«, sagte Jiriki. »Es ist in der Tat Mezutu’a – das Silberheim.« Er hielt die Fackel höher. »Ich habe es nie gesehen, aber so viele Lieder singen davon, dass ich das Gefühl habe, alle diese Türme und Brücken und Straßen so gut zu kennen, als sei ich hier aufgewachsen.«
»Ihr seid nie hier gewesen? Aber ich dachte, Euer Volk hätte es erbaut.« Eolair trat vom steilen Treppenrand zurück. Unter ihnen breitete sich die gewaltige Stadt aus, ein phantastisches Gewirr von Steinen und Schatten.
»Das haben wir auch – zumindest teilweise –, aber die letzten der Zida’ya verließen diesen Ort lange vor meiner Geburt.«
Jirikis goldene Augen waren weit offen, als könne er den Blick nicht von den Dächern der Höhlenstadt abwenden. »Als die Tinukeda’ya ihr Schicksal von unserem trennten, verfügte Jenjiyana von den Nachtigallen in ihrer Weisheit, dass wir den Kindern des Seefahrers diese Stadt überlassen sollten, um wenigstens einen Teil dessen auszugleichen, was wir ihnen schuldeten.« Er schüttelte stirnrunzelnd den Kopf, dass ihm das lose Haar um die Schultern flog. »Wenigstens das Haus der Tanzenden Jahre hatte noch ein Ehrgefühl. Außerdem schenkte sie ihnen noch Hikehikayo im Norden und das meerumschlungene Jhiná-T’seneí, das nun auch längst unter den Wogen begraben liegt.«
Eolair bemühte sich, der Fülle fremdartiger Namen Herr zu werden. »Euer Volk schenkte diesen Ort den Tinukeda’ya?«, fragte er. »Den Kreaturen, die wir Domhaini nennen? Den Unterirdischen?«
»Manche tragen diese Namen.« Jiriki nickte und richtete den hellen Blick auf den Grafen. »Aber sie sind keine ›Kreaturen‹, Graf Eolair. Sie kamen aus dem Verlorenen Garten, genau wie mein Volk. Wir begingen den Fehler, sie für geringer zu halten als uns. Ich möchte ihn nicht wiederholen.«
»Es sollte keine Beleidigung sein«, erklärte Eolair. »Aber ich bin ihnen begegnet, wie ihr wisst. Sie waren … seltsam. Aber auch sehr freundlich zu uns.«
»Die Kinder des Meeres waren stets sanft.« Jiriki begann die Treppe hinunterzugehen. »Ich fürchte, darum nahm mein Volk sie damals auch mit – weil es sie für fügsame Diener hielt.«
Eolair beeilte sich, ihm zu folgen. Der Sitha bewegte sich schnell und sicher und weit näher am Abgrund, als der Graf es gewagt hätte. Dabei schaute er nicht einmal nach unten. »Was meint Ihr mit ›manche tragen diese Namen‹?«, fragte der Graf. »Gab es auch Tinukeda’yas, die keine Unterirdischen
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