Das Geheimnis der Hebamme
gezogen, um so viel wie möglich von sich zu verbergen, und konnte es kaum erwarten, die fremden Sachen zurückzugeben und wieder in ihre unscheinbaren Kleider zu schlüpfen.
Schon die Größe der Stadt Würzburg mit ihren prachtvollen Kirchen und Wohnhäusern hatte sie sprachlos gemacht. Der Prunk der kaiserlichen Residenz gleich hinter dem gewaltigen Dom und die vielen kostbar gekleideten Menschen verwirrtensie. Die Farbenpracht, die Musik, die zahllosen Lichter, ja selbst die Düfte überfluteten und betäubten ihre Sinne.
Dicht neben ihr stand Christian, der seit dem Zwischenfall nach ihrer Rettung vor Oswald und Ludolf kaum ein Wort mit ihr gewechselt hatte, was Marthe noch mehr einschüchterte. Auch er schaute nun stolz Dietrich entgegen, der wieder auf sie zukam.
»Gut gemacht«, bedeutete er dem Jungen, der über das ganze Gesicht strahlte. Nicht jeder Sechsjährige trat so wacker dem Kaiser gegenüber. Und noch weniger Sechsjährigen wurde die Ehre zuteil, Page am Hof des Kaisers werden zu dürfen.
Dietrichs Augen leuchteten. »Die Kaiserin ist noch schöner als meine Mutter«, schwärmte er. Dann besann er sich auf höfisches Benehmen und korrigierte sich: »Die Kaiserin ist so schön wie meine Mutter. Aber sie hat ein schöneres Kleid.«
Marthe lächelte ihm zu. Dann sammelte sie ihre Sinne und konzentrierte sich auf das Geschehen im Saal, wo der Kaiser fortfuhr, die Großen seines Reiches zu begrüßen.
Hedwigs Blicke wanderten zu Beatrix von Burgund, die neben dem Kaiser thronte. In Gedanken rechnete sie nach: Vor gut zehn Jahren hatte die bildhübsche, sprachgewandte und gebildete Beatrix als Dreizehnjährige genau in diesem Saal Hochzeit mit Friedrich gefeiert. Wenig später heiratete die blutjunge Hedwig den ebenfalls zwanzig Jahre älteren Otto von Wettin.
Beatrix hatte trotz ihrer Jugend nicht nur den gesamten Hof verändert, Troubadoure ins Kaiserreich geholt und dem höfischen Leben Glanz verliehen. Es hieß auch, der Kaiser sei ihr vom ersten Tag an verfallen und höre in vielen Dingen auf ihren Rat. Und sie besaß Mut. Wie man sich erzählte, hatte Beatrix zu Jahresbeginn in der italienischen Stadt Susa ausgeharrt, die Friedrich nicht mehr aus ihren Toren herauslassenwollte, damit der Kaiser unerkannt in den Kleidern eines Dieners fliehen konnte.
Hedwig spürte, dass Beatrix ihren Blick erwiderte und ihr ein kaum erkennbares verstehendes Lächeln sandte. Fast unmerklich lächelte die Markgräfin zurück. Ja, sie waren insgeheim Schwestern. Junge Frauen, die sich nicht damit zufrieden gaben, ihren Männern Söhne zu gebären und schmückendes Beiwerk zu sein, wie es von ihnen erwartet wurde. Sie setzten ihren Verstand und ihre Schönheit dazu ein, auf die Mächtigen an ihrer Seite und deren Politik einzuwirken.
Es war ein gefährliches Spiel unter den argwöhnischen Augen der Kleriker und Adligen, die darauf beharrten, dass das Weib zu schweigen habe und ohnehin zu dumm sei, um größere Zusammenhänge zu verstehen. Sie mussten klug vorgehen, um den offenen und heimlichen Anfeindungen zu entgehen.
Hedwig ließ den Blick weiterwandern zu dem Paar, das unmittelbar neben dem Kaiser und der Kaiserin stand und nach jenen die meisten Blicke auf sich zog: Heinrich der Löwe und seine Kindfrau Mathilde. Erst zu Jahresbeginn hatte der Herzog mit großem Prunk die Tochter des englischen Königs Heinrich Plantagenet und seiner Gemahlin Eleonore von Aquitanien geheiratet. Ein genialer Schachzug, musste Hedwig eingestehen. Nun hatte der Löwe den englischen König zum Schwiegervater, was seinen Anspruch auf eine Krone weiter untermauerte.
Aufmerksam betrachtete Hedwig die englische Königstochter, die kaum mehr als elf Jahre zählte. Wenn Mathilde das Temperament ihrer Eltern geerbt hatte, würde der Löwe bald statt eines Kindes eine leidenschaftliche und stolze Frau an seiner Seite haben, die seine Stammburg Dankwarderode mit Sängern, Dichtern, Architekten, Buchmalern und Goldschmieden füllen und an seinen Entscheidungen teilhabenwürde. An allen europäischen Höfen erzählte man sich Geschichten darüber, wie sich Heinrich von England und seine Gemahlin Eleonore schlugen und vertrugen und sich dabei nichts, aber auch gar nichts schenkten.
Es schien, als würde die ganze Pracht um sie herum und selbst die Nähe des Kaisers Mathilde weit weniger beeindrucken als die Gegenwart ihres Gemahls, der breitschultrig mit dichtem schwarzem Haar neben ihr stand und finster in den Saal starrte.
Ob
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