Das Geheimnis der Hebamme
Richtungen.
An der Tafel hob ein gut gelaunter Otto seinen Becher. »Heute ist ein Tag der guten Nachrichten. Lasst uns trinken auf das Wohl meiner Gemahlin und auf den Sohn, den sie mir gebären wird!«
Hochrufe und Glückwünsche erklangen, die Hedwig lächelnd entgegennahm, ohne zu widersprechen. Jetzt war nicht der Augenblick, von einer Tochter zu reden.
Während der Lärm an der Tafel zunahm und die Gäste zusehends betrunkener wurden, fiel Christians Blick auf Marthe, die in einiger Entfernung wie erstarrt vornübergebeugt dastand und zum Wald spähte. Der Anblick alarmierte ihn.
In diesem Moment stieg Drago und schlug laut wiehernd mit den Vorderbeinen in die Luft. Die Hunde begannen zu kläffen.
»Herr, gestattet mir, die Tafel für einen Moment zu verlassen«, bat er Otto leise. »Ich fürchte, etwas ist nicht in Ordnung.«
Der Markgraf entließ ihn mit einer leutseligen Geste, während er sich wieder den lärmenden und fröhlichen Zechern zuwandte.
Aufmerksam um sich blickend, ging Christian Richtung Koppel, wo inzwischen immer mehr Pferde unruhig wurden.
Urplötzlich brach ein Bär aus dem Wald und stürzte auf die Tischgesellschaft zu.
Noch während die Gäste aufschrien, hatte sich das Untier aufgerichtet und mit einem Prankenhieb einem der Küchenburschen die Hirnschale zertrümmert. Der Unglückliche war bereits tot, noch ehe sein Körper auf dem Boden aufschlug.
Die Ritter am Tisch waren aufgesprungen, aber sie hatten alle zur Mahlzeit ihre Schwerter abgelegt – und zwischen ihnen und ihren Waffen stand mannsgroß und mit aufgerissenem Maul der Bär. Nur die lose aufgelegten Tischplatten trennten sie noch von der Bestie.
Christian konnte sich als Einziger frei bewegen. Noch im Laufen griff er nach einem der Spieße, die in der Nähe aufgestellt waren, und zerrte mit der Linken ein zur Hälfte angebranntes Scheit aus dem Kochfeuer.
Mit einem Schrei und einer heftigen Bewegung zog er die Aufmerksamkeit des Bären auf sich, der sich umgehend von der Tafel ab- und dem einzelnen Gegner zuwandte.
»Lasst die Hunde los«, schrie irgendwer.
»Nein, sonst zerfleischen die den Mann«, ertönte das Gegenkommando.
Mit einem wuchtigen Stoß trieb Christian dem Bären den Spieß in den Leib, doch der zerbrach die Waffe mit einem wütenden Schlag seiner linken Pranke. Der Schaft zersplitterte, nur noch ein paar Zoll ragten aus dem Körper des Tieres. Nichts ließ erkennen, dass ihn die Verwundung zu Fall bringen würde.
Hoch aufgereckt stand das Raubtier da, ebenso groß und um ein Vielfaches massiger als sein Gegner, brüllte wütend und hieb mit den Pranken nach Christians Kopf.
Der wich gerade noch rechtzeitig aus, und die Krallen fuhren über seine rechte Schulter. Mit dem brennenden Scheit in seiner Linken, hielt er sich die Pranken des Bären vom Leib, zog den Dolch und stieß ihn mit aller Kraft in das Herz des wilden Tieres. Dann sprang er zurück – nun völlig unbewaffnet.
Einen schier unendlichen Moment lang stand der Bär still. Dann wankte er und schlug dumpf zu Boden.
Erleichtert klatschten die Damen Beifall, die Ritter ließen anerkennende Rufe hören. Dass jemand einen wütenden Bären nur mit einem Messer erlegt hatte, hatte noch keiner von ihnen je zu sehen bekommen.
Christian winkte nach ein paar Helfern, die das tote Tier auf den Rücken wälzten, zog sein Messer heraus, säuberte es und steckte es zurück in die Scheide.
»Ihr habt Euch einmal mehr als einer meiner tapfersten Ritter erwiesen«, lobte der Markgraf mit laut tönender Stimme.
»Nehmt dies als Dank!«
Er reichte ihm einen edelsteingeschmückten Pokal.
Damen umringten Christian bewundernd, mehrere Ritter klopften ihm anerkennend auf die Schulter – ein Gunstbeweis, auf den er gern verzichtet hätte, denn es kostete ihn Mühe, dabei nicht vor Schmerz zusammenzuzucken.
Hedwig bemerkte zuerst, dass er Schulter und Arm steif hielt.
»Ihr seid verletzt, Christian. Lasst Euch umgehend von Marthe behandeln. Ich bestehe darauf«, sagte sie mit besorgter Miene.
Christian verneigte sich, so gut es seine Verletzung zuließ.
»Wie Ihr wünscht, hohe Dame. Ihr erlaubt, mein Herr, dass ich mich entferne?«
»Wie kann ich meiner Gemahlin widersprechen?«, dröhnte Otto leutselig. »Geht nur, geht, und lasst Eure Schulter wiederin Ordnung bringen. Ich werde doch nicht zulassen, dass einer meiner besten Schwertkämpfer seine Beweglichkeit einbüßt.«
»Siehst du, wie die Hure schon wieder um den Hungerleider
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