Das Geheimnis der Hebamme
am Arm. »Du wirst mich um deinen schnellen Tod anflehen, wenn es ihm nicht sehr bald besser geht.«
Mit dieser Drohung stapfte er aus dem Haus, während Wiprecht ihr einen finsteren Blick zuwarf, dann dem Ritter nacheilte und weitere Entschuldigungen stammelte.
Nachdenklich betrachtete Marthe den Verletzten. Der Bär hatte sein Wams zerfetzt und ihm die Krallen tief durch das Fleisch gezogen. Aus einigen Wunden sickerte noch Blut. Ekkehart schien nicht unmittelbar in Lebensgefahr, aber die Verletzungen schmerzten bestimmt sehr.
Plötzlich schlug er die Augen auf und griff nach ihrer Hand. »Hilf mir, bitte!«, stöhnte er.
Mit einem heftigen Ruck entzog sie ihm ihre Hand. »Rührt mich nicht an«, rief sie hasserfüllt.
Sie drehte sich um, träufelte etwas in einen Becher Wasser und hielt ihm das an die Lippen, während sie seinen Kopf stützte.
»Trinkt!«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht erforschte er ihre Miene.
»Ist es Gift? Deine Rache für das, was wir dir angetan haben?«
Resigniert schloss er die Augen.
»Wirst du mir wenigstens den Pater schicken? Wenn du mir nicht vergeben kannst, vielleicht kann Gott es.«
So schwer ihm die Bewegung auch fallen musste, Ekkehart griff nach dem Becher, wobei er sorgfältig vermied, ihre Hand zu berühren, und trank. Dann ließ er sich zurücksinken.
Marthe hockte sich stumm neben ihn und wartete.
Der Trank zeigte schnell Wirkung. Es war Gift, aber nur ein schwaches. Die ihm verabreichte Menge würde nichts anderes bewirken als einen vorübergehenden tiefen Schlaf.
Sie würde ihn heilen. Aber sie würde es nicht ertragen können, dabei seine Blicke auf sich zu spüren und seine Stimme zu hören.
Im Gegensatz zu Randolfs anderen Freunden hatte er sie nicht auch noch geschlagen. Doch er hatte zugesehen, wie seine Spießgesellen ihr Gewalt antaten und sie dann ebenso gegen ihren Willen genommen. In Würzburg hatte er sie oft mit Blicken verfolgt, aus denen nicht Hohn oder kalte Drohung sprachen, sondern etwas, das sie nicht deuten konnte, das ihr aber nicht weniger Angst einflößte.
Nachdem der Schlaftrunk Wirkung zeigte, machte sie sich daran, die Wunden zu säubern. Von Tieren zugefügte Verletzungen entzündeten sich oft und heilten schwer. Weniger schonend als sonst spülte sie das verkrustete Blut ab und wusch die tiefen Krallenspuren dann mit allen reinigenden Essenzen aus, über die sie verfügte. Während sie die Wunden nähte, empfand sie grimmige Genugtuung. Er würde noch tagelang Schmerzen leiden. Recht geschah ihm!
Doch als sie fertig war, kauerte sie sich zusammen und fragte sich, ob sie nicht auch vergiftet war – von Hass.
Würde sie bei Vater Bartholomäus Gnade finden, wenn sie ihm das beichtete? Doch dann müsste sie auch alles andere erzählen, was sie ihm bisher verschwiegen hatte. So hatten sich ihre Geheimnisse angehäuft, und sie war wohl gänzlich verdammt.
Allmählich bekam sie das Gefühl, an all dem zu ersticken, was sie seit Randolfs erstem Einfall ins Dorf in ihrem Innersten verschlossen hatte.
Sie sorgte wohl besser dafür, dass Ekkehart aus ihrem Haus hinausgetragen wurde. In den Zelten der Jagdgesellschaft konnte sie gelegentlich nach seinen Wunden sehen, solange Otto und seine Begleitung hier blieben. Aber aus ihrer unmittelbaren Nähe sollte er verschwinden.
Sie warf noch einmal einen Blick auf den Verletzten, um sich zu vergewissern, dass er ruhig schlief. Dann ging sie nach draußen.
Obwohl die Jagdgesellschaft bei ihrer Ankunft im Dorf eine Menge Lärm veranstaltet hatte, hatte Marthe vor lauter Arbeit fast nichts davon mitbekommen.
Als sie nun vors Haus trat, sah sie überrascht, dass auf nahezu jeder freien Fläche farbenprächtige Zelte aufgebaut waren, vor denen Menschengruppen lagerten oder Pferde grasten. Am Bach saßen um eine Tafel mehrere Damen und Ritter und plauderten.
Der dünne Küchenmeister scheuchte ein paar Diener, die schweißüberströmt zwei Wildschweine an gewaltigen Spießen über dem Feuer rösteten und jede Menge kleineres Wild brieten.
Sie konnte weder Christian noch Otto oder Hedwig unter den vielen Menschen entdecken, doch zu ihrer Erleichterung auch nicht Giselbert.
In der Nähe ihres Hauses wartete der Ritter, der den verwundeten Ekkehart auf seinem Pferd gehabt hatte. Er erhob sich und kam auf sie zu. »Wie geht es ihm?«
»Er schläft, Herr. Ich habe seine Wunden gereinigt und verbunden. Jetzt braucht es einfach nur Zeit, damit er wieder zu Kräften kommt. Vielleicht lasst Ihr ihn in
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