Das Geheimnis der Hebamme
Doch bevor sie einen Schritt tun konnte, umklammerte eine fieberheiße Hand ihren Arm.
»Bleib«, hörte sie Christian mit heiserer Stimme sagen. Sie drehte sich um und fühlte sich von seinem Blick getroffen wie am Tag ihrer ersten Begegnung.
»Bitte, bleib«, wiederholte er leise. Sie nickte und blieb stehen.
»Setz dich zu mir«, bat er, ohne sie loszulassen.
Vorsichtig setzte sie sich auf die Kante seiner Bettstatt.
Er löste seinen Griff und nahm ihre Hand in seine. »Geh nicht weg von mir!«
Still und nachdenklich blieb sie sitzen, während Christian mit einem gelösten Ausdruck auf dem Gesicht wieder einschlief.
Marthe verbrachte die ganze Nacht an Christians Lager. Manchmal schlief sie trotz der unbequemen Haltung für ein paar Augenblicke ein und schreckte dann wieder hoch. Das Feuer war längst erloschen, während Lukas tief und fest schlief. In der Hütte war es stockfinster, doch sie konnte spüren, dass Christians Atem und sein Puls ruhiger wurden. Als die Morgendämmerung durch die schmalen Fensteröffnungen drang, nahm ihre Umgebung allmählich wieder Konturen an. Weil sie sich unbeobachtet fühlte, richtete Marthe ihren Blick auf Christians Gesicht, über das nach den Qualen des Schmerzes und der Fieberhitze nun eine große Ruhe gekommen zu sein schien.
Es war nicht die Ruhe des nahenden Todes, sondern die der Ge nesung.
Plötzlich schlug Christian die Augen auf und sah sie an.
»Wie fühlt Ihr Euch, Herr?«, fragte sie leise.
»Gut – dank dir«, entgegnete er mit einem schwachen Lächeln. »Abgesehen davon, dass ich hungrig und durstig bin.«
»Das ist eine gute Nachricht«, rief sie und drehte sich glücklich zu Lukas um. »Junger Herr! Kommt schnell!«
Sofort fuhr der Knappe aus dem Schlaf hoch und zog seinen Dolch.
Doch als er Marthes freudige Miene sah und dann seinen Herrn, der aus eigener Kraft versuchte, sich aufzusetzen, atmete er erleichtert auf. »Das wurde aber Zeit!«
Marthe reichte Christian einen Becher mit verdünntem Wein. »Trinkt langsam«, ermahnte sie. Dann stand sie auf und brach ein kleines Stück von dem weißen Brot ab, das Elisabeth ihnen mitgegeben hatte.
»Versucht das. Aber besser wäre eine Fleischbrühe zur Stärkung. Euer Körper muss sich erst wieder an feste Nahrung gewöhnen.«
»Ich gehe gleich los und fange ein paar Wachteln«, rief Lukas und war schon verschwunden.
Nachdenklich trank Christian und aß ein paar kleine Bissen. Dabei ließ er Marthe nicht aus den Augen, die sich immer beklommener fühlte, bis sie schließlich aufstand, um das Feuer wieder in Gang zu bringen.
Sie stellte den eisernen Kessel auf die Flammen, den ihr Elisabeth mitgegeben hatte, und wärmte den Rest Hühnerbrühe.
Dann füllte sie etwas davon in eine hölzerne Schale und trug sie zu Christian.
Der legte seine Hände über ihre und stellte die Schale ab, ohne ihre Hände loszulassen.
»Ich muss mit dir reden«, sagte er.
»Ihr solltet zuerst etwas davon trinken, Herr«, sagte sie verlegen.
»Das hat Zeit.«
Er löste ihre Hände von der Schüssel, hielt sie fest und sah sie an. »Ich hatte im Kerker viel Zeit, nachzudenken. Zeit, zu bereuen und meinen Frieden zu machen mit Gott und der Welt. Ich hab Schlechtes getan, wofür ich den Schöpfer um Vergebung bitte, und vielleicht auch manches Gute.«
Er machte eine Pause.
»Aber eines bereue ich mehr als alles andere: Nicht schon viel eher erkannt zu haben, dass du es bist, die ich für den Rest meines Lebens an meiner Seite haben möchte. Ich liebe dich!«
Marthe fuhr zusammen. »Herr, Ihr sprecht im Fieber!«
»Das Fieber hast du geheilt. Und ich bin kein Herr mehr. Ichbin ein Vogelfreier. Ich besitze nichts als das, was ich am Leib trage, und darf mich in meinem Dorf und vor meinem Lehnsherrn nicht mehr blicken lassen.« Er lachte bitter. »Wenn dich das nicht stört?«
Dann wurde er wieder ernst. »Wenn du ähnlich empfindest … und das glaube und hoffe ich … sag es!«
Marthe senkte stumm den Kopf, während ihr Herz raste.
Zärtlich nahm Christian ihren Kopf in seine Hände und hob ihn an, so dass er in ihre Augen blicken konnte. Was er darin sah, war für ihn Antwort genug.
Sanft küsste er Marthes Lippen. Er fühlte, dass sie seinen Kuss erwiderte, und wurde leidenschaftlicher. Als er endlich von ihr ablassen konnte, griff er erneut nach ihren Händen.
»Marthe … Du bist meine Liebe, mein Leben! Wenn du es willst, rede ich mit deinem Mann. Vielleicht lässt er dich gehen, weil du ihm
Weitere Kostenlose Bücher