Das Geheimnis der Hebamme
jedes Gericht mit grimmigem Blick musterte und Hedwigs Wein vorkosten ließ. Hedwig selbst aß kaum etwas und schien Mühe zu haben, die wenigen Bissen hinunterzuschlucken.
Gegenüber von Raimunds Tisch entdeckte Marthe den Hünen mit dem auffallend hellen Haar, mit dem Christian bei der Ankunft in Streit geraten war.
»Wer ist das?«, fragte sie Susanne und deutete vorsichtig in diese Richtung.
»Der Große da? Randolf. Vor dem nimm dich ja in Acht, vor allem, wenn du mit Christian hier bist«, zischte Susanne.
»Warum?«
»Er ist der mächtigste und einflussreichste Vasall des Markgrafen, gefährlich und grausam. Randolf und Christian sind sich spinnefeind. Jeder hier wartet auf den Tag, an dem Christian Gelegenheit hat, ihn auf Leben und Tod zu fordern.«
»Aber weshalb?«, fragte Marthe erschrocken.
»Randolf stammt aus einer alten, reichen Familie. Er und seine Freunde verachten und hassen Ritter niederen Geblüts. Von Christians Herkunft weiß niemand etwas. Er tauchte eines Tages hier auf und begann die Ausbildung zum Knappen. Gemunkelt wird, dass er ein Bastard Ottos ist. Aber wenn du mich fragst – wohl eher von dessen Vater Konrad. Denn der hatte befohlen, Christian als Knappen aufzunehmen. Umso schmachvoller war es für Randolf, als ihn Christian im Turnier besiegte. Das hatte zuvor noch niemand geschafft! Erst dachte jeder, Christian hätte einfach Glück gehabt im Kampf. Aber beim nächsten Mal siegte er wieder über Randolf. Wenig späterbegann Randolf um Luitgard zu werben, das Mädchen, das Christian liebte.«
Susanne griff schnell nach dem letzten Stück Fisch, bevor sie weitersprach. »Ihr Vater befahl ihr, Randolf zu heiraten. Randolf ist ein mächtiger Mann. Christian dagegen hatte kein Lehen, kann kaum das Geld für seine Ausrüstung und den Knappen aufbringen und ist nur Ministerialer.«
»Ministerialer?«, fragte Marthe verdutzt.
»Kein Edelfreier, sondern ein unfreier Dienstmann«, erklärte Susanne ungeduldig. »So einen würde eine Edelfreie nie heiraten, genauso wenig wie ein Ritter eine Magd. Also gehorchte Luitgard.«
»Wenn auch nicht freiwillig«, ergänzte, mit vollen Backen kauend, die junge Frau, die neben Susanne saß. »Ihr Vater drohte, sie ins Kloster zu schicken, wenn sie seinem Willen nicht folgte. Und welches Mädchen kann sich schon den Bräutigam aussuchen!«
Marthe erschauderte bei der Vorstellung, ins Brautbett zu dem Hünen mit den grausamen Gesichtszügen gelegt zu werden. Als hätte er ihre Gedanken gespürt, wandte Randolf langsam suchend den Kopf in ihre Richtung. Er bohrte seinen Blick in ihre Augen und verzog den Mund zu einem bösen Grinsen.
Marthe hielt entsetzt die Luft an und senkte den Kopf, so wie die Mädchen neben ihr, die die Szene beobachtet hatten.
»Sieh ja nicht hin«, zischte ihr Susanne zu. »Vor dem kann dich keiner beschützen! Nicht einmal der furchtlose Christian, denn der kann nicht immer zur Stelle sein.«
Marthe wünschte sich dringend, weit weg zu sein.
»Schaut er noch her?«, fragte sie leise, fast ohne die Lippen zu bewegen.
»Du kannst wieder Luft holen. Er ist mit seinen Kumpanen beschäftigt«, gab Susanne Bescheid.
»Und Luitgard? Warum sitzt sie nicht neben ihm?«, wollte Marthe wissen.
»Sie hatte keine gute Stunde bei ihm. Er schlug sie oft und sperrte sie ein. Manchmal hörte man ihre Schreie durch die halbe Burg«, berichtete die junge Frau. »Christian war fast wahnsinnig vor Schmerz und Zorn und wollte Randolf zum Zweikampf fordern. Aber der Markgraf verbot das Duell bei strengster Strafe. Otto wusste genau, dass nur einer von beiden den Turnierplatz lebend verlassen würde. Seine Ritter sollten gegen seine Feinde kämpfen und sich nicht gegenseitig abschlachten, forderte er. Und es sei schließlich Randolfs gutes Recht, sein angetrautes Weib zu züchtigen. Dagegen lässt sich nichts sagen.«
Susanne wischte ihr Essmesser an einer Brotscheibe ab und übernahm wieder das Wort. »Ein paar Wochen nach der Hochzeit fand man sie zerschmettert unterhalb der Palisaden. Ein Unglück, hieß es, aber jede von uns ist sicher, dass sie sich hinabgestürzt hat. Es heißt, Christian trauert immer noch um sie.«
Marthe fröstelte. Sich das Leben zu nehmen war die schlimmste aller Sünden und brachte ewige Verdammnis. Das Leben bei Randolf muss für Luitgard schlimmer als die Hölle gewesen sein.
Das erklärt Christians Schwermut, dachte sie voller Mitleid, während sie nachdenklich ihren Brei löffelte.
Doch plötzlich
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