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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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Herrchens zusammenrollt.
    »Es ist viele Jahre her«, sagte ich. »Ich war noch ein Kind.« Das waren die ersten Worte, die ich an ihn richtete, und ich sagte sie auf Englisch. Man sah ihm an, wie sehr es ihn überraschte, dass ich keine Französin war.
    Er beugte sich vor, um mich genauer betrachten zu können. Einen Moment lang vergaß er seine gleichgültige Pose. An Solange gewandt, murmelte er: »Ich dachte, du hättest gesagt, sie ist eine Kollegin.«
    Solange hob die Achseln. »Das hat sie behauptet.«
    »Ja, das habe ich gesagt«, bestätigte ich auf Französisch. Ich wollte keinen Streit auslösen, und auf keinen Fall durfte ich Solange noch mehr gegen mich aufbringen. »Ich bin inzwischen eine Kollegin, eine Ärztin wie Sie.«
    »Sie sprechen in Rätseln«, murmelte mein Vater. Er blickte immer noch in meine Richtung, aber wegen der milchigen Pupillen konnte ich nicht beurteilen, was er sah. »Sie kommen aus England?«
    Ich nickte.
    »Und Sie sind Ärztin?«
    Wieder nickte ich.
    »Und wo, sagten Sie, haben wir uns getroffen?«
    Ich wappnete mich, als könnte sich jeden Augenblick die Erde unter mir auftun. »In Montreal.«
    Honoré Bourret runzelte die Stirn. »Dann steht fest, dass Sie sich irren, denn ich hatte leider nie das Vergnügen, Montreal zu besuchen.«
    Er fixierte mich mit seinen seltsam verschleierten Augen. Was für ein absurdes Gefühl, dass dieser Vater, der gleichzeitig nicht recht mein Vater war, mich so dreist verleugnete.
    »Aber Sie sind dort geboren«, sagte ich.
    »Ich stamme aus England«, erklärte Bourret. Solange betrachtete mich mit ihren schläfrigen Katzenaugen. Die beiden schienen so unbeirrt, dass mir Zweifel kamen. Das Gesicht meines Vaters war mir absolut fremd. Konnte ich wirklich ausschließen, dass dieser Honoré Bourret nicht doch ein Frem der war? Ich begann, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, aber dann rief ich mich zur Vernunft. Vor drei Jahren hatte William Howlett mit ihm in der Auberge des Flots gesessen. Jakob Hertzlich konnte das bezeugen. Dieser Mann log. Er log mir ins Gesicht.
    »Ich komme gerade mit dem Schiff aus England«, sagte ich, »aus dem Haus eines Ihrer Freunde.«
    Bourret hatte sich entspannt an die Rückenlehne der Couch gelehnt, doch als ich William Howlett erwähnte, richtete er sich sofort wieder auf. Er wandte sich Solange zu und schickte sie aus dem Zimmer. Als sie merkte, dass es ihm ernst war, widersprach sie. Warum sollte sie wegen einer Fremden hinausgehen? Dies sei schließlich auch ihr Haus! So könne er nicht mit ihr umgehen. Und mich überschüttete sie mit Beschimpfungen, weil ich ihren Vormittag durcheinandergebracht hatte.
    Der alte Mann musste sie regelrecht hinausscheuchen. Es war ein peinliches Schauspiel, das Bände über ihre Beziehung sprach. »Frauen!«, zischte er auf Englisch, als wir endlich unter uns waren. »Nichts als Probleme.« Er setzte sich wieder mir gegenüber. »Heißt das, Dr. Howlett hat Sie hergeschickt?« Er sprach nun Englisch, vermutlich weil er nicht wollte, dass seine Freundin ihn verstehen konnte, falls sie an der Tür lauschte.
    Ich erklärte, Sir William habe alles in seiner Macht Stehende getan, mir diese Reise auszureden. Er habe die Situation als »kompliziert« bezeichnet und versucht, mich von meinem Plan abzubringen.
    »Aber Sie sind trotzdem gekommen.«
    Es folgte eine Pause, in der wir einander eingehend musterten. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was der Mann, der mir da gegenübersaß, dachte. Vielleicht überlegte er, welche Alternativen er hatte, plante seinen nächsten Schachzug und kalkulierte, wie viel er preisgeben wollte. Oder er dachte über mich nach. Die undurchdringlichen Augen schlossen sich. »Ich kenne Sie nicht«, sagte er wieder.
    Ich nannte meinen Namen – nicht den englischen, den mir meine Großmutter gegeben hatte, sondern den älteren, den französischen, den er ausgesucht hatte. Ich sagte, ich sei seine Tochter.
    Eine ganze Weile lang antwortete er nicht. Stumm schlug er die Beine übereinander, griff nach der Zigarettenschachtel und bot mir eine Zigarette an. Als ich den Kopf schüttelte, zündete er sich selbst eine an. »Ich war nie in Montreal«, sagte er beim Ausatmen. »William Howlett hat aus gutem Grund versucht, Sie davon abzuhalten hierherzukommen. Ihr Besuch ist reine Zeitverschwendung.«
    Wenig später ging ich. Solange stand in der Küche und bereitete das Mittagessen zu. Sie hob nicht einmal den Kopf, als ich den Flur durchquerte. Der alte Mann

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