Das Geheimnis der Highlands
sich mit der Realität auseinanderzusetzen, ganz gleich, wie irrational die jeweilige Situation auch erscheinen mochte. Geboren und aufgewachsen in New Orleans, verstand sie, daß die menschliche Logik nicht alles zu erklären vermochte. Manchmal gab es eine höhere Logik – etwas, das schmerzlich ihr Begriffsvermögen überstieg. In letzter Zeit empfand Adrienne es eher als überraschend, wenn die Dinge einen Sinn ergaben, als wenn sie es nicht taten – zumindest befand sie sich auf heimischem Terrain, wenn ihr Leben eine sonderbare Entwicklung nahm. Obwohl es höchst unlogisch und zutiefst unwahrscheinlichwar, ließen sich all ihre fünf Sinne nicht davon abbringen, daß sie sich, um die kleine Alice zu zitieren, nicht mehr in Kansas befand.
Der Schimmer einer Erinnerung fuhr ihr durch den Kopf … Was hatte sie noch getan, kurz bevor sie sich auf Comyns Schoß wiederfand? Die Stunden davor waren unscharf, vage. Sie konnte sich an das unangenehme Gefühl erinnern, beobachtet zu werden … und sonst? Ein merkwürdiger Geruch, intensiv und würzig, der ihr in die Nase gestiegen war, bevor sie … was? Adrienne gab sich alle Mühe, den Schleier der Verwirrung zu durchstoßen, doch sie erreichte nur, daß ihr der Schädel brummte.
Sie kämpfte eine Zeitlang dagegen an, dann ergab sie sich dem Schmerz. Adrienne murmelte ein inbrünstiges Gebet, daß die höhere Logik hinter dieser irrationalen Wirklichkeit sie mit mehr Wohlwollen behandeln möge als das Schicksal, das sie auf Eberhard hatte treffen lassen.
Zu schade, daß sie nicht einige jener wirklich und wahrhaftig üblen Erinnerungen verloren hatte. Doch nein, nur ein paar seltsame Stunden; eine kurze Zeitspanne. Vielleicht dämpfte der Schock dessen, was passiert war, momentan ihr Erinnerungsvermögen. Wenn sie sich erst einmal an diese neue Umgebung angepaßt hatte, würde sie bestimmt dahinterkommen, wie sie es fertiggebracht hatte, durch die Zeit zu reisen. Und wie sie wieder zurückkommen könnte.
Dann aber fragte sie sich, ob sie wirklich zu dem, was sie hinter sich gelassen hatte, zurückkehren wollte.
* * *
Am nächsten Morgen spritzte sich Adrienne eiskaltes Wasser ins Gesicht und taxierte sich in der verschwommenen, polierten Silberplatte, die über dem Becken hing. Ach, all diekleinen Annehmlichkeiten. Heißes Wasser. Zahnpasta. Wonach sehnte sie sich am meisten?
Kaffee. Bestimmt wurde im Jahr 1513 irgendwo auf der Welt Kaffee angebaut. Wenn ihr lüsterner Ehemann so darauf erpicht war, ihr zu gefallen, vielleicht könnte er ihr zu etwas Kaffee verhelfen – und zwar schnell. Wenn sie weiterhin so schlecht schlief, würde sie jeden Morgen eine ganze Kanne brauchen.
Als der Hawk letzte Nacht ihr Gemach verlassen hatte, hatte sie am ganzen Körper gezittert. Die Verlockungen des Schmieds waren nur ein dünnes Echo auf die Anziehungskraft, die der Mann, den man den Hawk nannte, auf all ihre Sinne ausübte. Allein seine Anwesenheit ließ sie innerlich erbeben und bescherte ihr weiche Knie – weitaus heftiger, als es Adam verursacht hatte. Schnaubend erinnerte sie sich an die Regeln des Hawk. Vier davon lauteten, den Schmied zu meiden. Immerhin, das war ein sicherer Weg, ihn zu reizen, wenn ihr danach war. Nachdem sie ihren Kaffee bekommen hatte.
Adrienne wühlte sich durch Janets »Aussteuer« auf der Suche nach etwas leidlich Schlichtem, das sie anziehen konnte. Nachdem sie ein limonengelbes Kleid gewählt hatte (wie wurden in diesem Zeitalter bloß solche brillanten Stoffe hergestellt?), betonte sie es mit einem goldenen Gürtel um die Hüfte und einigen goldenen Armreifen, die sie fand. Weiche Lederpantoffeln für die Füße, die silbrige Mähne kurz geschüttelt, und jetzt war Kaffee das einzig Lebenswichtige.
* * *
»Kaffee«, krächzte sie, nachdem sie es endlich geschafft hatte, sich durch das weitläufige Schloß hindurchzukämpfen und auf einige Leute zu treffen, die sich bei einem gemächlichen Frühstück befanden. Es saßen ungefähr ein DutzendMenschen am Tisch, doch die einzigen, die Adrienne erkannte, waren Grimm und Er, also schickte sie das Wort hoffnungsvoll in ihre Richtung.
Der ganze Tisch starrte sie an.
Adrienne starrte unbeeindruckt zurück. Auch sie konnte unhöflich sein.
»Ich glaube, sie sagte Kaffee«, meinte Grimm nach einer langen Pause, »obschon ich von einigen unserer Jagdfalken schon verständlichere Laute vernommen habe.«
Adrienne verdrehte die Augen. Der Morgen verlieh ihrer brandyerprobten
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