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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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den Boden. Erst jetzt nahm er die Frau, deren Kind er zur Welt gebracht hatte, wirklich wahr. Seine Augen weiteten sich. Er glaubte, ihr Gesicht in einem Märchenbuch gesehen zu haben, das von Meerjungfrauen erzählte. Das Haar der Frau hatte sich gelöst und umrahmte ihren Kopf wie dunkelroter Seetang. Ihre Augen waren von einem Grün, das an die Farbe des Meeres erinnerte, wenn die Sonne die Wellen koste. Wie Edelsteine funkelten sie in dem bleichen Gesicht. Diese Augen schienen ihn zu durchbohren, sein ganzes Wesen ergründen zu können. Ein sanftes Lächeln trat auf die Züge des nixenartigen Geschöpfs.
    »Lass mich ihn sehen«, wisperte sie.
    Behutsam legte er das kleine Bündel neben sie auf das Bett. In diesem Augenblick ließ ein Donnerschlag die Kate erbeben, und der kurz darauf folgende Blitz tauchte die Schlafkammer in gleißendes Licht. Der Säugling erschrak und riss zur Verwunderung des Arztes die Augen auf.
    »Er hat meine Augen«, seufzte die Mutter. Zärtlich strich sie über das kleine Gesicht. »Und mein Haar. So wird er auch mein Schicksal haben.« Mitleidig betrachtete sie das stumme Bündel. »Wie habe ich gefleht, dass es anders kommen möge.«
    Der Arzt konnte seinen Blick nicht von Mutter und Kind lösen. Doch dann zerriss der Schrei der Hebamme den Moment der Vertrautheit. »Oh Gott, nein!«
    Sofort sah er es. Das Blut, das aus dem Schoß der Frau strömte, hatte in wenigen Augenblicken alle Laken durchtränkt. Einen Moment schien er unfähig, sich zu rühren. Als
ob er diesen raschen Wechsel von neu geschenktem Leben zu drohendem Tod nicht fassen könnte. Doch dann griff er nach seinem Koffer. Die Hebamme versuchte verzweifelt, mit einigen Leinentüchern den Blutfluss zu stoppen.
    »Scheinbar stimmt etwas mit dem Mutterkuchen nicht.« Panik schwang in der Stimme des Arztes mit, denn die Blutung ließ sich kaum stillen. Als es ihm endlich gelang, war es zu spät. Fassungslos horchte er nach Atemzügen, die nicht kamen. Das konnte, das durfte nicht wahr sein! Es war ihm, als habe er einen kostbaren Schatz gefunden, nur um ihn gleich darauf wieder zu verlieren.
    »Das Kind hätte besser mit ihr sterben sollen!« Die Hebamme schloss die Augen der Toten. »Ein echter van Voss! Niemand wird ihn haben wollen. Hier auf der Insel wird er die Hölle erleben. Wenn ich gläubig wäre, würde ich jetzt zehn Vaterunser für ihn beten!«
    Der Arzt schien ihre Worte nicht zu hören. Sanft nahm er das Bündel Leben in die Arme und verlor sich in der Betrachtung des kleinen Gesichts.

1
    Frühjahr 1854
    D as jüngste Küchenmädchen lenkte die Aufmerksamkeit der anderen auf die Anzeige im Jeverschen Wochenblatt. Mit dem Finger die einzelnen Buchstaben entlangfahrend, entzifferte sie Silbe für Silbe den Text.
     
    »Junge Frau mit gutem Leumund und einer Ausbildung in den Schönen Künsten für eine Stellung auf der Insel Wangerooge gesucht, die absolute Bindung erfordert. Dafür wird Sicherheit und Freiheit von finanziellen Sorgen garantiert. Verschwiegenes, folgsames Wesen und gutes Aussehen notwendig. Auch Angehörige sind willkommen.«
     
    »Wie im Märchen«, schwärmte sie mit verträumtem Blick. »Was das wohl für eine Stellung ist? Es steckt ein Geheimnis dahinter. Ich hätte nicht übel Lust …«
    »Deine schönen Künste bestehen doch allerhöchstens im Schälen von Kartoffeln«, schnaubte Luise, die Köchin.
    Das Mädchen sprang entrüstet auf, und ein Krug mit Milch ergoss sich über den Tisch.
    Luise griff nach einem Tuch und schüttelte verärgert den Kopf. »Dir werde ich die Flausen schon noch austreiben, du ungeschicktes Ding! Hier hast du was zu tun.« Sie schob dem Mädchen eine Schüssel mit Zwiebeln zu. »Die hackst du mir jetzt ganz fein für den Kartoffelsalat. Damit du wieder auf den Boden kommst.«

    Die anderen lachten, während sich das Küchenmädchen murrend fügte.
    An einem langen Tisch, gedeckt mit Teegeschirr, frischem Brot, Käse, Butter und Wurst, saß das Dienstpersonal des Justizrates Remmer zum Frühstück beisammen. Zu anderer Zeit wurde auf diesem Tisch Gemüse geputzt, Fisch ausgenommen, Salat angerichtet und Süßspeise angerührt. Der hintere Bereich der Küche wurde fast völlig von einem Backofen und einem großen offenen Herd eingenommen, über dem an einem Spieß bis zu zehn Hühner auf einmal gebraten werden konnten.
    Einer der Knechte kam zur Tür herein. Er zog sich einen Stuhl heran und griff begierig nach dem frisch gebackenen Brot. »Was ist denn das

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