Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
die Insel ging, dann konnte sie den Blick nicht vom Himmel und den Wolken abwenden. Sie liebte das Eiland mit all seinen Farben, aber der Himmel übte eine besondere Anziehung auf sie aus. Doch es war viel zu selten Zeit und Muße, den Zauber Wangerooges zu genießen.
An den wenigen gemeinsamen freien Tagen war Konrad mit ihnen gekommen. Er ging völlig darin auf, mit Freya zu spielen und schien dabei immer wieder in seine eigene Kindheit zurückzukehren.
Wemke seufzte, als sie an den gestrigen Nachmittag dachte. Konrad hatte wieder einmal darauf angespielt, dass sie eine richtige Familie sein sollten. Freya bräuchte andere Kinder um sich herum, mit denen sie gemeinsam aufwachsen könnte. Er selbst habe sich immer nach einer Frau wie ihr gesehnt. Sie waren verheiratet, nach seinem Wunsch bräuchte dies nicht nur auf dem Papier Ausdruck finden.
Wie jedes Mal war Wemke vor Verlegenheit heiß und kalt geworden. Sie mochte Konrad, so wie man einen guten Freund mag. Doch mehr Gefühle brachte sie ihm nach wie vor nicht entgegen. Das hatte sie versucht, in Worte zu fassen. Konrad war verständnisvoll. Sie hätte alle Zeit der Welt, sich mit dem Gedanken anzufreunden.
Doch im Grunde ihres Herzens wusste Wemke, dass sich ihre Gefühle für Konrad nie ändern würden. Denn insgeheim sehnte sie sich nach einem ganz anderen Menschen. Unbewusst hielt sie Ausschau nach Jeels van Voss. Doch weder ihn noch seinen großen Freund konnte sie entdecken. Wemke wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
»Du bist verheiratet«, hielt sie sich ärgerlich vor. »Dein Mann ist anständig und von Grund auf gut. Du hast vor Gott gelobt, ihm eine treue Partnerin zu sein. Reiß dich um Himmels willen zusammen!«
Es nützte nichts. Wemke schloss gequält die Augen. Die
Liebe zu Jeels van Voss würde immer ihr Geheimnis bleiben müssen. Nur die Sehnsucht konnte sie sich nicht verbieten.
Wemke zwang sich, den Gedanken an Jeels fallenzulassen. Vorsichtig sah sie sich nach Wiltert um und stellte erleichtert fest, dass er nicht im Zelt war. Über ihn hatte sie sich gleich nach ihrer Ankunft hier geärgert. Da glaubte dieser Kerl doch, ein Krug Bier würde reichen, um sie seinen Angriff am Strand vergessen zu lassen. Konrad hatte sie fragend angeschaut, als der Wirtssohn am Tisch auftauchte und dessen ausgestreckte Hand mit dem Krug von ihr ignoriert wurde. Wemke konnte sich nicht überwinden, ihrem Mann von dem Vorfall zu erzählen. Nachdem sie sein Friedensangebot lange genug stur missachtet hatte, war Wiltert mit wutschäumender Miene abgezogen und Wemke hatte erleichtert aufgeatmet.
Der Wirt hatte eine andere Meinung zur Abwesenheit seines Sohnes. Immer noch wurde hinter dem Ausschank jede helfende Hand dringend gebraucht, und er fragte sich nun schon seit einer ganzen Weile verärgert, wohin Wiltert verschwunden war. Ihm troff der Schweiß von der Stirn. Immer wieder wischte er sich mit dem fleischigen Handrücken über die Augen. So heiß wie heute war es das ganze Jahr noch nicht gewesen. Gebeugt wie Hannes dastand, wirkte sein Hals so kurz, dass es aussah, als sei der Kopf unmittelbar zwischen die Schultern gebettet.
Die Hände der Wirtin arbeiteten flink und unaufhörlich. Sie rannte hin und her und bediente die Gäste. Hannes nickte ihr dankbar zu. Ein bitterer Zug lag um ihren Mund: Seine Frau ärgerte sich über den Sohn. Wiltert hatte es natürlich wieder einmal nicht nötig, sich anzustrengen. Er war die ganze Zeit so lahm wie eine Schnecke gewesen. Fast konnte man glauben, er überließe es mit Absicht den Alten, sich abzurackern, als hätte er seine Freude daran. Und ausgerechnet heute,
wo sie sich endlich auch einmal eine goldene Nase verdienen konnten. Aber nein. Der liebe Herr hatte damit zu tun, die Damen anzustarren. Und jetzt war und blieb er schon seit einer Stunde verschwunden. Dabei waren Gäste wie auch Insulaner durstig wie selten.
»Hannes, hast du eine Ahnung, wo der Wiltert wieder steckt?«, zischte seine Frau, als sie mit zwei leeren Krügen zurück zur Theke kam.
Der Wirt schüttelte nur müde den Kopf. »Hab ich dir ja gleich gesagt, dass du mit ihm nicht rechnen kannst. Kein Verlass ist auf diesen Kerl.«
Sie nickte bestätigend. »Die Arbeit hat der nicht erfunden. Und jetzt hat ihn auch noch die Wut gepackt. Weißt ja, immer wenn er so richtig in Fahrt ist, dann lässt er alles stehen und liegen und ist weg. Aber dass es ausgerechnet heute wieder so weit sein muss!«
»Worauf
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