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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christel Mouchard
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…«, stammelte sie.
    Aber die Frau verfiel wieder in ihre unverständlichen Erklärungen und begleitete sie mit fuchtelnden Bewegungen ihrer mit Fischschuppen bedeckten Hände. Nina spürte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    Die Frau musste dennoch etwas begriffen haben, denn jetzt wandte sie sich an einen der Männer, die mit ihren Handkarren unterwegs waren, und rief ihm etwas zu. Er hielt sofort an und schaute zu ihr herüber. Nina wurde sich bewusst, dass sie diesen Leuten ein komisches Bild bieten musste. Alle, Männer wie Frauen, waren barfuß und trugen weite Hosen und Hemden. In ihrem weißen Kleid, dem altrosa Gürtel aus Samt, ihrem Korsett mit altenglischen Stickereien und dem riesigen in Tüll eingehüllten Strohhut fühlte sie sich schrecklich fremd – auch sich selbst gegenüber.
    »Wohin wollen Sie?«, fragte der Mann.
    »Sie sprechen Französisch!«, rief Nina erleichtert aus.
    »Wohin wollen Sie?«, wiederholte der Mann.
    »Ich bin die Tochter von Monsieur Paul d’Armand und ich möchte …«
    »Wohin wollen Sie?«
    »Gut, ich verstehe«, murmelte Nina entmutigt. »Wir beenden das Gespräch, ja?«
    Sie dachte einen Moment nach, dann holte sie aus ihrem Handtäschchen den letzten Brief ihres Vaters heraus und las langsam und deutlich:
    »Land-gut Teng, Dong-Ba-por-te-Stra-ße.«
    Der Mann lächelte auf eine Weise, dass seine Augen sich zu winzig kleinen Lichtschlitzen verengten, und deutete mit der Hand auf seinen Karren. Jetzt erst sah Nina, dass sich in dem Karren ein Sitz befand.
    »Wie dumm ich bin! Das ist eine Rikscha! Papa hat mir doch davon erzählt.«
    Sie zeigte mit einem gebieterischen Finger auf ihren Reisekoffer. Der Mann nickte, rief einen zweiten Rikscha-Läufer herbei, und bald darauf sah sich Nina durch die Menge flitzen – weit weg vom Hafen.

Ein überraschter junger Mann
    Ihr Vater hatte nicht gelogen. In seinem letzten Brief hatte er ihr geschrieben: »Hué ist eine sehr hübsche, sehr ruhige Stadt, voll von Palästen und Tempeln, die man hier Pagoden nennt.« Das stimmte. Die Stadt der Kaiser von Annam ähnelte einem großen, üppigen Park voller Vögel und Blumen. Nina war von dem Anblick ganz gefangengenommen und hatte darüber ihre Verzweiflung vergessen.
    Die Straßen von Hué waren einfache Sandwege und schlängelten sich zwischen den Gärten hindurch, in denen hohe Sukkulenten und Bäume im Überfluss wuchsen. Die üblen Gerüche des Hafens waren verschwunden. Hier duftete es nach Blumen, nassem Gras und Holzfeuer. Die meisten Häuser waren sehr niedrig und hinter den Zäunen der Grundstücke kaum zu sehen. Was Nina von ihnen erkennen konnte, waren weiß oder gelb verputzte, von Veranden umgebene Gebäude.
    Jetzt tauchte an einer Wegbiegung die Veranda einer Pagode auf. Das Backsteingebäude hatte ein doppeltes, an den Ecken abstehendes Dach. Auf dem First lief ein unendlich langer bunter Drachen aus Keramik entlang. Die rote Treppe war von glänzenden Krügen gesäumt, sie standen auf Füßen, die wie Vogelkrallen aussahen. Das Ganze war von Rauchbändern eingehüllt, die nach Weihrauch dufteten.
    Nina musste plötzlich lächeln – ja, sie war wirklich in ein Buch chinesischer Märchen versetzt worden. Sie war gleichzeitig entzückt und beunruhigt, kribbelig und glücklich. Um die Ruhe zu bewahren, zwang sie sich, die Sträucher zu betrachten, die die Wege säumten. Große Palmen von einem leuchtenden Grün, schwere weiße und wachsartige Blüten, dicke gelbe Melonen in Form von Birnen, all das zog vor Ninas Augen vorbei. Sie drehte ihren Kopf in alle Richtungen, um nichts von der Landschaft zu verpassen.
    Bald erblickte sie ein weiteres Gebäude mit überstehendem Dach, ebenfalls mit Vergoldungen und roter Farbe beladen. Doch dieses da war riesig.
    ›Noch eine Pagode‹, dachte Nina.
    Die Rikscha hielt an. Der Mann drehte sich um und zeigte wortlos mit einer gebieterischen Geste darauf.
    »Was? Ja, das ist eine Pagode. Und?«, fragte Nina perplex.
    Der Mann wiederholte die Geste.
    »Haus Teng!«
    »Das Gut Teng?
Das
ist das Gut Teng? Mein Vater wohnt in einer Pagode?«
    Nun war Nina total verblüfft.
    »Haus Teng«, wiederholte der Mann.
    »Er scheint wirklich ein Dickkopf zu sein«, murmelte Nina mit gereizter Miene.
    Hatte der Mann sie verstanden? Er bequemte sich, seine Angabe zu vervollständigen:
    »Keine Pagode. Haus Teng.«
    Nina stieg aus der Rikscha und betrachtete unablässig das Gebäude, auf das der Mann zeigte. Tatsächlich gab es weder

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