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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christel Mouchard
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meinen können, es sei ein Druck aus einem Gartenkatalog oder ein Bild für ein Kinderbuch. »Mein Haus …«, murmelte Nina.
    Und dennoch erfüllte ein Wohlbehagen ihre Brust.
    Die Tür des Hauses öffnete sich.
    Ein junges Mädchen kam heraus. Sie war ungefähr in Ninas Alter – in ihrem
wirklichen
Alter. Eine Annamitin mit einem hübschen Gesicht, eingerahmt von zwei langen, geflochtenen Zöpfen, die ihr bis zur Taille gingen. Sie trug eine lange weiße, an beiden Seiten geschlitzte Tunika über einer weiten schwarzen Hose, dazu Sandalen mit zwei Riemen. In der Hand hielt sie einen Stapel Bücher, die mit einem Stoffband zusammengeschnürt waren.
    »Guten Tag«, begann die junge Annamitin in einem so klaren Französisch wie Teng Wenji.
    »Guten Tag, ich bin Antoinette d’Armand, die Tochter von Monsieur d’Armand.«
    Das junge Mädchen drückte die Bücher an sich und wich einen Schritt zurück, während sie ihren Blick auf die Stiefeletten der Besucherin heftete.
    »Entschuldigen Sie uns bitte, Mademoiselle«, sagte sie. »Wir wussten nicht, dass Monsieur d’Armand zwei Töchter hatte.«
    Nina brauchte eine Sekunde, um das Missverständnis zu begreifen. »Nein, nein, mein Vater … Monsieur d’Armand hat nur eine Tochter, das bin ich.« Und da sie das Unverständnis sah, das sich auf dem Gesicht der jungen Annamitin abzeichnete, fügte sie mit einem breiten Lächeln hinzu: »Ich bin Nina!«
    Sogleich bedauerte sie es; sicher hatten sie ihr stolzes Lächeln und dieser lächerliche Spitzname verraten. Doch das junge Mädchen bewegte nur die Augenlider.
    »Nina? Sie sind Nina?«
    Der Art und Weise nach zu urteilen, wie sie den Namen aussprach, ahnte man, dass Paul d’Armand ihr viel von Nina erzählt hatte. Sicher hatte er ihr gesagt, dass die beiden Mädchen Freundinnen werden könnten – es war dringend notwendig, diese junge Person daran zu hindern, weiterzudenken.
    »Oh, ich verstehe deine Reaktion«, erwiderte Nina in mütterlichem Ton. »Mein Vater denkt immer, dass ich noch immer das kleine Mädchen bin, das er in Frankreich zurückgelassen hat. Doch die Jahre sind vergangen. Ich bin älter geworden, wie du siehst.«
    Und sie machte eine Handbewegung, die ihre Größe und ihre Brüste zeigte, um sich der kleinen Annamitin als junge Frau zu präsentieren. Diese betrachtete das mit englischer Stickerei umrandete Oberteil und die von dem Korsett hervorgehobene Brust. Dann senkte sie wiederum den Blick und wich mit geneigtem Kopf einen Schritt zurück.
    ›Uff, das hat geklappt‹, dachte Nina erleichtert.
    »Ich werde meine Eltern holen«, sagte die junge Annamitin. »Sie arbeiten für Monsieur d’Armand.«
    Sie lief zur Ecke des Hauses, die Bücher noch immer fest umklammernd.
    »He!«, rief Nina sie zurück. »Du bist Tam, nicht wahr?«
    Die junge Annamitin drehte sich um und neigte von Neuem den Kopf.
    »Ja.«
    »Mein Vater hat mir oft geschrieben, dass du eine sehr nette junge Bedienstete seist …«
    Tams Reaktion war kaum wahrnehmbar. Nur eine Bewegung mit dem Kinn und ein rascher Blick, der Bruchteil einer Sekunde – ein Blick voller Wut, so schien es.
    ›Jetzt bin ich zu weit gegangen‹, dachte Nina.
    Doch sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ein Mann und eine Frau kamen um die Ecke der Villa und wiederholten mehrfach ihr Begrüßungsritual, indem sie den Kopf neigten und dabei die Hände zusammenlegten. Ihre Kleider waren abgenutzter als die von Tam und ihr Französisch nicht so sicher. Sie hatten einen starken Akzent und trugen kurze Tuniken, die wohl einmal schwarz gewesen sein mussten. Die junge Annamitin nutzte die Ankunft ihrer Eltern, um sich davonzumachen.
    ›Gerade noch mal davongekommen‹, dachte Tam, als sie nach Hause lief. ›Wäre diese Antoinette zwei Minuten früher gekommen, hätte sie mich auf frischer Tat ertappt …‹
    Sie hatte es nicht weit: Das Bambushaus, in dem sie mit ihren Eltern lebte, stand hinter der Villa Henriette, neben der Küche unter freiem Himmel, wo ihr Vater die Mahlzeiten zubereitete. Es gab auch einen Gemüsegarten und eine Pergola mit einem großen Holztisch. An diesem Tisch hatte Monsieur d’Armand so oft in Gesellschaft seiner beiden Bediensteten und ihrer Tochter gegessen.
    Tam seufzte. Monsieur d’Armand war nicht wie die anderen. Und nun war er tot, und ihre Eltern würden ihre Arbeit verlieren. Was würde aus ihnen werden? Vielleicht müsste Tam die Schule verlassen, um zu arbeiten. Es sei denn, dieses Fräulein, das aus Paris

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