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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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kramte in einer Schatulle mit Nadeln und Garnen. Seine Wahl fiel auf eine Rolle mit dem rotgoldenen Etikett
Außerordentlich reißfester Seidenzwirn der Firma »Pusyrew und Söhne«
.
    Er setzte sich in den Sessel, warf einen Blick auf das Loch, das der Pfeil im Bezug hinterlassen hatte, und begann die Perlen aufzufädeln. Ach ja, eine fehlte.
    Die fünfundzwanzigste Perle war unter den Schreibtisch gekullert. Fandorin hob sie auf, da ertastete er plötzlich mit dem Daumen ein eingeritztes Muster. Unter der Lampe entzifferte er auf dem Steinchen das schon stark abgegriffene Schriftzeichen für »Eisen« – auf japanisch »tetsu«, auf chinesisch »te«. Was mochte das bedeuten?
    Nachdem er die letzte Kugel zu den anderen gefügt und den Faden verknotet hatte, prüfte er, ob es die grünen Steinchen in der neuen Reihenfolge bequem hatten. Ja, sehr bequem. Sie klackerten fröhlich gegeneinander.
    »Eisen«, »te«? Sollte …
    Fandorin sprang auf und stürzte zum Schrank mit den altertümlichen Büchern, die er seinerzeit aus dem Reich der Aufgehenden Sonne mitgebracht hatte.
     
    4
     
    Tags darauf ging Fandorin nicht zum Dienst. Er ließ dem Büro eine kurze Nachricht zukommen, in der er sich auf unaufschiebbare Arbeiten berief. Daran war nichts Verwunderliches, denn der Hofrat hatte keine festen Anwesenheitsstunden und befand sich überhaupt in der beneidenswerten Lage eines freien Vogels. Die Merkwürdigkeiten begannen gegen Abend.
    Der junge Herr, der immer elegant gekleidet war und als einer der größten Stutzer Moskaus galt, zog einen abgewetzten Gehrock an, entnahm einem besonderen Fach des Kleiderschranks ein schmuddeliges Hemd, das er dort speziell für solche Fälle aufbewahrte, ergänzte seine Toilette mit dazu passenden Accessoires und ging zu Fuß in Richtung Sucharewka-Markt. Ein nicht gerade kurzer Weg, aber Fandorin ließ sich Zeit und genoss den sanften Atem des heiteren Sommertags.
    Offensichtlich brauchte der Beamte einen so ausgedehnten Spaziergang zur Anregung des Appetits. Jedenfalls steuerte er, in Sucharewka angekommen, sogleich eine der schäbigsten Garküchen des chinesischen Viertels an, das nur aus einigen krummen und schmalen Gassen bestand, bewohnt von kleinen chinesischen Händlern und Gelegenheitsarbeitern, die sich erst seit kurzem in Moskau angesiedelt hatten.
    In dem schmutzigen dunklen Raum saß kein einziger Europäer. Es roch durchdringend nach gebratenem Hering und ranzigem Öl, an den niedrigen Tischen saßen kleinwüchsige schlitzäugige Männer mit langem Zopf und aßen fingerfertig mit Stäbchen; alletrugen dunkelblaue oder schwarze Jacken mit Stehkragen. Höflichkeit und die Befürchtung, sich die Lippen zu verbrennen, geboten, die Suppe zu schlürfen und die Nudeln pfeifend in den Mund einzuziehen, weshalb von allen Tischen ein geschäftiges Schlürfen und Schmatzen kam, wie es nicht einmal in der allerletzten Schenke von Chitrowka zu hören war.
    Fandorin bestellte Haifischflossensuppe und kleine, mit Ei und Kraut gefüllte Plinsen. Während er wartete, spielte er unbekümmert mit der Jadekette. Seitenblicke beantwortete er mit einem leichten Nicken, und als ihm die Schale mit der Suppe und ein Tellerchen mit knusprigen zusammengerollten Plinsen gebracht wurde, schlürfte und schmatzte er nicht schlechter als die übrigen Esser.
    Er aß lange und mit Appetit, danach trank er mindestens eine Dreiviertelstunde Jasmintee aus einer verräucherten Messingkanne. Schließlich stand er auf, wischte sich die schweißige Stirn mit einem schmutzigen Taschentuch, legte ein Fünfzehnkopekenstück auf den Tisch und wechselte in die Nachbarkaschemme, wo es Süßigkeiten gab und Mah-Jongg gespielt wurde.
    Seine chinesische Erkundungstour dauerte bis in die Dunkelheit, da war er bereits in einem finsteren Keller im Gewirr der Sucharewka-Höfe. Es war ein recht großer Raum mit niedriger feuchter Decke und fast ohne Beleuchtung, bis auf ein paar Öllämpchen.
    Auf dem Boden waren in mehreren Reihen Wattematratzen ausgebreitet, auf denen Menschen saßen oder lagen – vorwiegend Chinesen, aber auch ein paar Europäer. Es roch nach süßlichem, die Nase kitzelndem Rauch, der unter der Gewölbedecke waberte. Niemand sprach, hier herrschte Stille, nur hin und wieder war gedämpftes, undeutliches Murmeln zu vernehmen.
    Fandorin setzte sich nicht ohne Ekel auf eine speckige Matratze, und sofort war ein schweigsamer Chinese zur Stelle und reichte ihm mit einer Verbeugung eine qualmende

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