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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Autoren: Boris Akunin
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außerdem die Mokejewschen Keller. Da entwischt er.«
    Ohne einen Befehl abzuwarten, stürmte er vor und stieß obendrein in seine Trillerpfeife.
    Masa und Fandorin liefen hinterher.
    In einem schmalen Hof holte der Polizist den Chinesen ein und packte ihn an der Schulter.
    »Vorsicht!«, rief Fandorin.
    Woher sollte ein schlichter Polizist wissen, welche Überraschungen magere chinesische Greise bereithalten können?
    Doch Nebaba wurde mit der Aufgabe spielend fertig – der Dieb versuchte weder zu fliehen noch Widerstand zu leisten. Als Fandorin und sein Kammerdiener näher kamen, stand der Chinese friedlich da, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, und wiederholte mit zitternder Stimme: »Mei shi! Mei shi!«
    Masa bog die Finger des Verhafteten auf, nahm die Jadekette (der Alte hatte sie tatsächlich an die Brust gedrückt) und gab sie Fandorin.
    Der Beamte starrte den Chinesen gespannt an. Ein alter Mann, weiter nichts. Da war weder die Weisheit des Te Huanji im erschrockenen Gesicht noch die Gewandtheit des gestrigen Schützen im schwächlichen Körper. Etwas stimmte hier nicht.
    Der Polizist, der hinter dem Verhafteten stand, bemerkte skeptisch:
    »Wie Sie meinen, Herr Fandorin, aber es sieht nicht so aus, als ob diese halbe Portion Prjachin mit dem Beil zerstückelt hat. Der kann doch nicht mal ein Beil hochheben.«
    Noch ehe Fandorin antworten konnte, kam ein Rascheln aus der Dunkelheit, ein kurzer Atemstoß, dann schlug etwas Weiches gegen etwas Weiches. Nebaba knallte mit dem Gesicht auf den Boden,die langen Arme von sich gestreckt. Wo er eben noch gestanden hatte, zeichnete sich eine Silhouette ab, in der Fandorin sofort den gestrigen Mauerspringer erkannte: die eng anliegende Kleidung, die federnde Haltung, das konische Mützchen. Masa fauchte wütend und machte sich zum Kampf bereit, aber da warf der schwarze Mann mit einer blitzartigen Bewegung ein Bein hoch und traf den Japaner punktgenau am Kinn. Der Stoß erfolgte so unglaublich schnell, dass er den treuen Diener Fandorins, einen erfahrenen und gefährlichen Kämpfer, überrumpelte.
    Ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, ging Masa zu Boden, damit war Fandorins Streitmacht schon in den ersten Sekunden der Schlacht niedergeworfen, und der Heerführer fühlte sich dem Kampf mit solch einem bedrohlichen Gegner, genauer, mit zweien, nicht gewachsen.
    Nein, es war doch nur einer – der alte Chinese machte keine Anstalten, sich auf den Beamten zu stürzen. Er wich zur Wand zurück, umfaßte den Kopf mit den Händen und wehklagte: »Sanshen, bu yao!«
    Wäre Fandorin in seiner üblichen Verfassung gewesen, so hätte er ohne Zögern den Zweikampf mit diesem Meister der Kampfkünste aufgenommen, oder er hätte ihm mit seinem Herstal einfach in den Knöchel geschossen. Doch nach der Revolvertasche zu greifen, war keine Zeit – bei der geringsten Bewegung würde der Gegner sofort einen Präventivschlag führen. An ein Handgemenge war auch nicht zu denken. Fandorin versuchte, eine Kampfstellung einzunehmen, und sofort schwankte die Erde unter seinen Füßen. Wenn ich am Leben bleibe, rühre ich nie wieder dieses Mistzeug an, schwor er sich, während er langsam zurückwich.
    Die Kampfstellung schien den Gegner doch zu beeindrucken: Er beschloss, sich nicht nur auf seine Hände und Füße zu verlassen. Mit leichter Bewegung zog er etwas Langes, Geschmeidiges aus dem Ärmel und ließ es pfeifend und blitzend durch die Dunkelheitkreisen. Eine Stahlkette, erriet Fandorin. Die konnte einem Menschen einen Knochen durchschlagen und die Kehle zerfetzen.
    Fandorin hatte leider nichts in den Händen außer der unseligen Jadekette. Vor dem ersten Hieb der Stahlschlange konnte er sich wegducken, wäre dabei aber fast gestürzt, und er sprang noch ein paar Schritte zurück. Weiter konnte er nicht – hinter ihm war die Mauer. Er schwenkte die Kette und beschrieb in der Luft eine sirrende Acht. Mochte der Feind denken, dass auch er eine Stahlkette hatte, dann hielt er sich vielleicht zurück. Aber das Schwenken bewirkte nur, dass der außerordentlich reißfeste Zwirn der Firma »Pusyrew und Söhne« zerriss und die Jadekügelchen unrühmlich nach allen Seiten flogen.
    Der Mann in Schwarz machte einen kleinen Schritt nach vorn, bereit zum entscheidenden Angriff. Als Fandorin hörte, wie die todbringende Kette die Luft zerschnitt, fiel ihm eine taoistische Maxime ein: Die Kraft des Geistes besiegt das Schwert. Bloß schade, dass es im übertragenen Sinn gemeint war.
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