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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Autoren: Boris Akunin
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›orientalischen Sachen‹.«
    Und er schritt, begleitet vom misstrauischen Blick des Reviervorstehers, zum Ausgang.
     
    3
     
    Der Hofrat verbrachte den ganzen Tag mit konzentriertem Nachdenken. Ab und zu nahm er die Kette aus der Tasche und ließ die glatten Jadekügelchen in der Hand hin und her rollen, ihr leises, heimeliges Geklacker bereitete ihm ein unerklärliches Vergnügen.
    Als er zum nachmittäglichen Vortrag beim Generalgouverneurerschien (eigentlich hätte man das tägliche Ritual auch als »Teestunde« bezeichnen können, zumal nichts Besonderes zu berichten war) erkundigte sich Fürst Dolgorukoi: »Was haben Sie denn da für ein Spielzeug, mein Lieber? Eine neumodische Erfindung? Sie sind ja ein Anhänger des technischen Fortschritts. Lassen Sie mal sehen.« Er klemmte sich den Kneifer auf die Nase und betrachtete neugierig die orientalische Rarität.
    »Nein, Euer Hohe Exzellenz«, antwortete der Beamte für Sonderaufträge respektvoll. »Das ist eine uralte Erfindung. Erdacht, um die gedankliche und seelische E-Energie zu konzentrieren.«
    »Ah, eine Art Rosenkranz«, sagte der Fürst. Er fingerte die Kette, ließ rhythmisch die grünen Steinchen klackern, und plötzlich schlug er sich an die Stirn. »Heureka! Seit dem Morgen zermartere ich mir den Kopf, wie ich mich in meinem Bericht für Seine Majestät zur afghanischen Frage äußern soll. Sie zu verschweigen wäre unredlich – die Tollköpfe wollen das Land in ein Abenteuer hineinziehen, aber die Wahrheit wage ich nicht zu schreiben, denn die Anglophobie des Zaren ist allgemein bekannt. Also werde ich über den Aufenthalt des Thronfolgers in der alten Residenzstadt berichten und beiläufig meine Position zur Kuschka-Expedition darlegen. Das ist eindeutig und zugleich unaufdringlich. Ein heller Kopf, der Dolgorukoi! Nehmen Sie Ihre Kette, Erast Petrowitsch. Sie hat mir wirklich geholfen, meine Gedanken zu konzentrieren. Bringen Sie sie öfter mit.«
    Fandorin lächelte über den Scherz und lenkte das Gespräch auf den russisch-englischen Konflikt, der einen so spezifischen Charakter angenommen hatte, dass es einem Uneingeweihten ganz unmöglich war, sich in all den politischen Feinheiten und Winkelzügen zurechtzufinden.
    Am Abend, als Fandorin zu Hause in der Kleinen Nikitskaja-Straße am Schreibtisch saß, um dem Bericht für Seine Majestät den letzten Schliff zu geben, fielen ihm die scherzhaften Worte des Generalgouverneurswieder ein. Die Formulierung des Schreibens erforderte Umsicht und Takt – schon der kleinste Fehler könnte für den Fürsten die schlimmsten Folgen haben. Der Hofrat hielt öfter inne, überlas das Geschriebene, und seine Hand griff immer wieder in die Tasche nach der Kette – zuerst rein mechanisch. Doch bald machte er eine erstaunliche Entdeckung: Er brauchte die Jadekügelchen nur ein paar Augenblicke durch die Finger gleiten zu lassen, und der komplizierteste Satz fügte sich wie von selbst, noch dazu in optimaler Form.
    Das wiederholte sich mehrmals, und schließlich legte Fandorin, von dem Phänomen fasziniert, die Schreibutensilien beiseite und untersuchte die Kette mit Forscherblick.
    Es war ein außergewöhnlich heißer und schwüler Abend, darum saß der Hofrat in seinem hohen Voltaire-Sessel am geöffneten Fenster zur Hofseite, bei aufgezogener Gardine. Draußen war es stockdunkel, im Apfelgarten nebenan sägten die Zikaden. Fandorin hätte gern Tee getrunken, aber sein Kammerdiener Masa hatte wie gewöhnlich ein Stelldichein. Um die Ehre der Dame zu schützen, hielt der Japaner ihren Namen geheim, aber aus den Krümeln und Rosinen, die dem wollüstigen Asiaten in letzter Zeit ständig aus den Taschen fielen, schloss Fandorin, daß Masa nun doch nähere Bekanntschaft mit der Bäckerin geschlossen hatte, die er seit längerem anschmachtete und der er sogar einen gefühlvollen Dreizeiler gewidmet hatte:
     
    Um eine üppige Blüte
    Schwirrt eine gelbe Biene.
    Oh, welch betörender Duft!
     
    Wie auch immer, der Diener war nicht zu Hause, und Fandorin hatte keine Lust, sich selbst um den Samowar zu kümmern, darum begnügte er sich mit einer Zigarre. Blauen Rauch ausstoßend, zählte er die Perlen. Es kam eine Zahl heraus, die für den Orientungewöhnlich war – fünfundzwanzig. Vierundzwanzig wäre verständlich gewesen: drei Achten, also dreimal die Zahl, die Glück und langes Leben verhieß. Aber fünfundzwanzig? Fünfmal fünf – das ist etwas Hartes, Logisches, Europäisches.
    Fandorin drehte die
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