Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
bröckelte, das Holz war an manchen Stellen morsch
geworden. Man ließ sie herein, obwohl die Diener aufgebracht
schnatterten, und der Hausherr willigte sogleich ein, sie zu sehen.
Yazi vollführte den Kotau vor Rong Dongji, der in seinem großen
Privatgemach auf sie wartete, hob dann den Kopf, um in das Gesicht
eines alten, müden Mannes zu blicken.
»Yingxiong
ist tot«, erklärte er nur. »Die Qing-Soldaten
erdolchten ihn, weil er sich bei ihrem Angriff betrunken auf der
Straße herumtrieb. Er hat sich schon immer dumm benommen.«
Die
Härte der Worte versetzte Yazi einen Stich. Sie dachte an
Yingxiongs schmales, kluges, nervöses Gesicht. Kein Mensch hatte
es verdient, dass nach seinem Tod derart abfällig über ihn
gesprochen wurde.
»Ich
hatte einen Sohn, der ein Schwächling und Versager war«,
fuhr der Hausherr unerbittlich fort. »Doch jetzt habe ich keine
Nachkommen mehr.«
Yazi
sprach so freundlich wie möglich ihr Bedauern aus.
»Du
warst tapfer, als du freiwillig zu den langhaarigen Rebellen gegangen
bist«, sagte Dongji, ohne darauf einzugehen. »Du bist in
ihren Rängen schnell aufgestiegen, wie man mir sagte.«
Yazi
staunte, wie viel Anerkennung in seiner Stimme lag. Menschen, die im
Leben vorankamen, schienen Rong Dongji zu beeindrucken, selbst wenn
sie auf der Seite seiner Feinde standen.
Er
zog an einer blau verzierten Wasserpfeife aus Porzellan. Tabak gab es
also wieder in Nanjing, sicher auch Alkohol und Opium.
»Zeig
mir die Kinder«, befahl er dann. Yazi erhob sich, um Chuntian
und Jinzi näher heranzuführen. Wieder bohrte ihre Tochter
sich die Vorderzähne in ihre Lippen. Nur Jinzi überstand
die genaue Musterung des Hausherrn mit der fröhlichen
Gelassenheit eines Kleinkinds.
Rong
Dongji rief schließlich eine Dienerin, um die Kinder
hinausbringen und mit Essen versorgen zu lassen. Dann winkte er Yazi
zu sich heran und forderte sie auf, an seinem Tisch Platz zu nehmen.
»Ich
will nicht fragen, was du in den letzten Jahren getan hast«,
meinte er zwischen zwei Zügen an der Wasserpfeife. »Die
Zeiten waren hart und überall herrschte Chaos. Yingxiongs erste
Gemahlin lief mit einem der Qing-Soldaten fort, der ihr eine
herrliche Zukunft in Beijing versprach. Meine zwei jüngsten
Konkubinen folgten diesem Beispiel. Es ist sehr still hier geworden.«
Yazi
sprach nochmals ihr Bedauern aus.
»Du
kannst als meine Schwiegertochter hier wohnen«, fuhr der
Hausherr fort. »Und deine Tochter ist mein einziges Enkelkind.
Ein Mädchen ist nicht so gut wie ein Junge, aber allemal besser
als gar keine Nachkommen.«
Yazi
kommentierte dies nicht weiter. Eine unsichtbare Hand hatte sich um
ihre Kehle gelegt. Mit der Aufnahme Chuntians hatte sie gerechnet,
aber da war noch ein zweites Kind.
»Du
könntest meinen Sohn adoptieren«, wagte sie zaghaft
vorzuschlagen. »Dann hätte die Familie einen Nachkommen.«
Sie
duckte sich leicht, nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, so
sehr rechnete sie mit einem Tobsuchtanfall des Hausherrn. Doch er sog
nur laut Luft ein und spuckte in einen Napf auf dem Tisch.
»Wenn
ich einen fremden Knaben adoptieren will, dann brauche ich mich nur
in der Stadt umzusehen. Viele Waisen hocken bettelnd auf den Straßen.
Sie sind nicht die Söhne fremder Barbaren, die unser Land
versklaven.«
Yazi
fuhr zusammen. Sie fragte nicht, woher er es wusste. Ihre enge
Verbundenheit mit einem Lao Wai musste sich in der Stadt
herumgesprochen haben.
»Man
sieht es Jinzi nicht an«, warf sie ein.
»Das
könnte sich mit den Jahren ändern«, entgegnete Rong
Dongji. Yazi senkte den Kopf. Sie hatte es befürchtet, musste
dennoch wieder einmal die Tränen der Verzweiflung niederkämpfen.
»Du
und deine Tochter, ihr könnt bleiben«, beendete der
Hausherr das Gespräch. »Aber den Jungen will ich unter
meinem Dach nicht haben. Bringe ihn zu einem Händler, der kleine
Kinder sucht. Er ist gesund und kräftig. Man wird dir einen
guten Preis für ihn zahlen. Und jetzt kannst du gehen.«
Yazi
verneigte sich respektvoll, bevor sie den Raum verließ. Sie
staunte, wie viel Ruhe sie empfand. Sie hatte mit dieser Entscheidung
Rong Dongjis gerechnet und bereits ihre eigenen Pläne gefasst.
In
ihrem alten Gemach verzehrte sie mit den Kindern ein ausgiebiges
Abendmahl, erzählte ihnen die
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