Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
blieb.
»Wir
werden überleben«, sagte sie nur. »Auch ohne
Andrew.«
Zu
ihrem eigenen Erstaunen merkte sie, dass sie tatsächlich daran
glauben konnte.
******
Die
Lindleys blieben noch zwei Monate in Shanghai. Augustus schrieb an
seinem Buch und las Yazi manchmal daraus vor. Seine Augen funkelten
dabei vor Begeisterung, seine Stimmte bebte, als er von der
Grausamkeit der Mandschus berichtete, die von seinen Landsleuten
unterstützt wurden, während das gerechte, fortschrittliche
Königreich der Taiping aufgrund von Ignoranz und Geldgier mit
britischer Hilfe zerstört worden war. Yazi fragte sich, ob er
etwas von dem Gemetzel wusste, an dem sie selbst hatte teilnehmen
müssen, doch gefiel es ihr, dass wenigstens ein Engländer
willens war, die Herrschaft Hong Xiuquans in ein gutes Licht zu
rücken. Auf der anderen Seite wurde nicht minder gelogen und
beschönigt.
Dann
ging Augustus das Geld aus. Er glaubte nicht daran, in Shanghai einen
Verleger für sein Buch zu finden, das sich so völlig gegen
die gegenwärtige China-Politik der englischen Regierung richtete
und plante daher die Heimkehr.
»Es
würde mich freuen, wenn du und deine Kinder mit uns reisen
würden«, meinte Marie, während sie ihre Koffer
packte. »Auch für mich ist Europa völlig fremd. Meine
Vorfahren stammen aus Portugal, aber ich selbst bin in Macao geboren
und habe mein ganzes Leben in China verbracht.«
Yazi
nickte stumm. Marie würde in Europa wenigstens nicht fremd
aussehen und hatte einen Engländer zum Gemahl, aber was sollte
sie selbst allein mit Chuntian und Jinzi auf diesem so weit
entfernten, unbekannten Kontinent anfangen?
»Ich
bleibe besser hier. China kenne ich«, erwiderte sie. »Ich
muss jetzt sehen, wie ich mich durchschlage.«
Marie
sah sie mitfühlend an, verzichtete aber auf die ehemals so oft
geäußerte Versicherung, dass Andrew sicher bald auftauchen
würde. Es gab kein Lebenszeichen von ihm.
»Was
willst du tun?«, fragte sie nur.
»Ich
muss zurück nach Nanjing und sehen, was aus der Familie meines
ersten Gemahls geworden ist«, erklärte Yazi das Ergebnis
langen Grübelns. »Sie waren reich. Und Chuntian ist ihre
Enkeltochter. Vielleicht nehmen sie uns auf.«
Eine
Falte erschien zwischen Maries pechschwarzen Brauen.
»Solltest
du nicht besser zu deinen eigenen Eltern gehen?«
Yazi
hob abwehrend die Hand.
»Sie
sind arme, einfache Leute. Ich weiß nicht, wie sie diesen
Bürgerkrieg überlebt haben. Sie gaben mich fort und damit
gehörte ich zu einer anderen Familie.«
Marie
widersprach nicht. Sie schien zu verstehen.
******
Yazi
stand lange am Hafen und sah den hohen Masten und geblähten
Segeln des Schiffes hinterher, das die Lindleys aus ihrem Leben trug.
Dann nahm sie Jinzi auf den Arm, ergriff Chuntians Hand und begann zu
gehen. Sie besaß noch die zwei Silberketten, die sie einst von
ihrer Mutter erhalten hatte, und konnte dadurch den Platz auf einer
Lorcha bezahlen, die sie nach Nanjing brachte.
Große
Teile der Stadt lagen in Trümmern, doch begann sich bereits
neues Leben zu regen. Die Kaufläden und Restaurants schienen so
prächtig geschmückt wie vor der Eroberung durch das
Taiping-Heer. Hurenhäuser waren wieder aufgemacht worden, denen
es offenbar nicht an Kundschaft mangelte. Yazi konnte nicht umhin,
als Erstes die Ruine der Porzellanpagode aufzusuchen. Sie saß
zwischen den Trümmern überirdischer Schönheit, bis es
zu dämmern begann. Erinnerungen zogen an ihr vorbei, sie weinte
und schlug mit der Hand gegen die Reste des Gemäuers, bis ihre
Knöchel bluteten. Dann zog sie die Hälfte des Gedichts
heraus, die Andrew ihr hinterlassen hatte, und bat Chuntian, es noch
einmal vorzulesen. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass ihre
Tränen erschöpft waren. Sie musste nun an ihre Kinder
denken.
Schließlich
suchte sie nach der Stelle, wo Andrew Pofus Leichnam versteckt hatte,
und fühlte eine Last von ihren Schultern gleiten, als sie dort
kein Skelett vorfand. Ihre Generalin war gefunden und hoffentlich
angemessen begraben worden. Sie sprach leise eine Hymne, die sie
einst als Taiping-Kriegerin gelernt hatte, und hoffte, Pofus Geist
hätte ihr inzwischen vergeben.
Dann
ging sie mit den Kindern zum Haus der Rongs. Es schien unversehrt,
wenn auch nicht mehr so prächtig wie einst. Der rote Lack an den
Mauern
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