Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Viktoria
richtete sich auf. Sie meinte, mit Andrew alle Europäer der Welt
zu verteidigen.
»Es
ist gut möglich, dass er zurückkommen wollte, es aber nicht
konnte«, wandte sie sich an Jinzis eisern zorniges Gesicht.
»Für eine Frau ist es sehr wichtig zu wissen, ob sie aus
mangelnder Liebe verlassen wurde oder ob dem Mann aus irgendeinem
Grund keine andere Wahl blieb.«
Sie
dachte an Anton. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie ihn
lieber tot gewusst, als von ihm zurückgewiesen worden zu sein.
Jinzi
schnaubte nur, doch fiel ihm wohl nicht gleich eine Antwort ein.
Vielleicht hatte er Viktoria nicht ganz verstanden.
Yazi
nippte an ihrer Teetasse, stellte sie dann völlig ruhig auf dem
Tisch ab. Sie redete auf Chinesisch, doch sprach sie bewusst langsam,
damit auch Viktoria den Sinn ihrer Worte begriff.
»Ich
kannte deinen Vater. Hältst du mich für eine Närrin,
die den Versprechungen eines Heuchlers vertraut? Jahrelang hat mich
die Ungewissheit gequält. Wenn ich nun erfahren kann, ob er noch
lebt und warum er nicht zurückkam, dann will ich es wissen.«
Jinzi
senkte den Kopf, obwohl in seinen Augen der Widerspruch blitzte.
Viktoria atmete erleichtert auf. Es war Dewei, der das Ergebnis der
Unterhaltung zusammenfasste.
»Wir
fahren also alle nach Shanghai.«
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Max
von Brandt hatte Viktoria bereits klargemacht, dass sie mit Lao
Tengfeis Eskorte einen unnötig umständlichen Weg genommen
hatte. Von Tianjin aus verkehrten Dampfschiffe, die nach Shanghai
fuhren. Die Reise dauerte ungefähr eine Woche, was angesichts
des nahenden Winters ein großer Vorteil wäre. Leider warf
Jinzi knurrend ein, dass auf einem solchen Schiff gewöhnliche
Chinesen sicher nur als Bedienstete geduldet waren. Viktoria hätte
sehr gern widersprochen, doch war ihr der Ball im britischen Konsulat
noch gut in Erinnerung. Zudem wäre die Reise auf dem Dampfer
sicher nicht billig, und sie konnte nicht erwarten, dass die
Gesandtschaft auch für drei Chinesen zahlte.
»Sie
nehmen Dampfer, wir uns treffen in Shanghai«, schlug Jinzi ihr
vor. Sie musste zugeben, dass es durchaus vernünftig klang, doch
ein unklares Gefühl tief in ihrer Brust wehrte sich gegen die
Vorstellung, allein zu reisen. Sie wollte bei diesen Leuten bleiben,
denen sie sich auf seltsame Weise zugehörig fühlte.
»Ich
fahre mit Ihnen. Dann brauchen wir uns in Shanghai nicht zu suchen«,
meinte sie lächelnd. Jinzis Gesicht verfinsterte sich.
»Reisen
mit Lao Wai schwierig, fällt überall auf. Besser nehmen
Dampfer. Viel bequemer, so wie gewöhnt.«
Viktoria
fühlte sich wie ein lästiges Anhängsel behandelt und
bohrte die Fersen in den Boden.
»Ich
bin die Strecke schon einmal gereist. Mit lauter Chinesen.«
»Mit
Dienern von Mandarin. Nicht dasselbe. Nehmen Dampfer.« Sein
bestimmender Tonfall brachte Viktorias Widerspruchsgeist erst recht
in Wallung.
»Ich
möchte gern bei Ihnen beiden sein«, entgegnete sie
pikiert. »Aber wenn ich unerwünscht bin, dann …«
Yazi
unterbrach sogleich: »Wenn Sie mit uns reisen wollen, sind wir
natürlich sehr erfreut. Aber es wird keine bequeme Reise sein.«
»Das
stört mich nicht«, versicherte Viktoria, obwohl ihr Magen
sich nervös zusammenzog. Worauf ließ sie sich hier gerade
ein? Das zornige Funkeln in Jinzis Augen zwang sie, bei ihrem
Entschluss zu bleiben, denn er sollte nicht denken, dass sie sich so
einfach abschrecken ließ.
Sie
lag die ganze Nacht mit aufgerissenen Augen auf dem Kang, während
Deweis ruhige Atemzüge an ihr Ohr drangen. Durch die
geschlossene Tür vernahm sie Yazis und Jinzis Stimmen. Sie
mussten hinausgegangen sein, um sie durch den Streit nicht zu stören.
Immer wieder fiel das Wort Lao Wai, zudem der Begriff wēidài,
gefährlich, manchmal auch nǎorén für lästig.
Es war natürlich Jinzi, der so über sie sprach. Viktoria
ballte die Hände zu Fäusten. Sie würde sich von diesem
unverschämten, hochmütigen Kerl auf keinen Dampfer der Welt
schicken lassen!
******
Es
gab jetzt keinen Sedanstuhl mehr. Nur ein mageres Maultier und einen
klapprigen Karren, den Jinzi auf wundersame Weise auftrieb. Viktoria
vermutete, dass er diese Gaben in Shen Akeus Bett verdient hatte,
doch verkniff sie sich bissige Bemerkungen. Die Bettler hatten leider
ihren Pass gestohlen, der sich in dem Ridikül befunden
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