Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Yazi aufzuheitern.
»Mein
geliebter Mann lässt mich zum Beispiel in einer Schlacht
sterben, obwohl ich nur schwer verwundet wurde, aber überlebte.
Augustus meint, mit solcher Tragik kann er seine Leser rühren
und besser für die Sache der Taiping begeistern. Wenn das Buch
herauskommt, muss ich wohl vorgeben, seine zweite Ehefrau zu sein.
Leider verschweigt er auch meine Beteiligung am Kriegsgeschehen
weitgehend, denn eine schießwütige Gattin könnte den
graubärtigen Herren in seiner Heimat zu sehr missfallen.«
Seufzend
griff Marie nach einem weiteren Keks.
»Ich
fürchte, früher oder später müssen Augustus und
ich China verlassen. Mein dickköpfiger Ehemann macht sich hier
keine Freunde.«
Yazi
spürte zu ihrem Entsetzen, dass ihr wieder Tränen in die
Augen schossen. Die Lindleys waren die einzige Sicherheit, die sie
noch hatte.
»So
schnell fahren wir nicht weg«, rief Marie sogleich und schlang
ihre Arme wieder um Yazis Schultern. »Andrew taucht sicher bald
auf. Dann können wir vielleicht alle zusammen ein Schiff nach
England nehmen.«
Yazis
Kehle zog sich bei der Vorstellung, die Heimat für immer
verlassen zu müssen, zusammen. Aber mit Andrew an ihrer Seite
wäre sie bereit, bis ans Ende der Welt zu reisen.
»Ich
würde gern England sehen«, mischte Chuntian sich ins
Gespräch. »Doch ohne Andrew wird uns dort niemand wollen.
Und keiner weiß, wo er jetzt ist.«
Wieder
spürte Yazi ein böses Jucken auf ihrer Handfläche. Mit
aller Kraft unterdrückte sie den Wunsch, ihre Tochter zu
ohrfeigen, weil sie derart schonungslos die Wahrheit ausgesprochen
hatte.
******
Es
dämmerte bereits, als Augustus wiederkehrte. Er hatte
herausgefunden, dass Margaret Huntingdon, Andrews Mutter, vor einigen
Tagen einen Schlaganfall erlitten hatte. Das Unglück war völlig
unerwartet gekommen, denn die Dame war bekannt für ihre rüstige
Gesundheit gewesen. Nun schwebte sie in Lebensgefahr, konnte weder
sprechen noch die rechte Seite ihres Körpers bewegen. Doch
Andrew hatte niemand gesehen.
»Das
ändert sich sicher bald, irgendwo muss er ja sein«,
versuchte Marie Yazi zu beruhigen. Zum Abendessen brachte Augustus
Teigtaschen und Reis von einem Straßenhändler. Yazi
zwängte ein paar Bissen herunter, dann füllte sie ihren
Magen mit Reiswein, bis sie nicht mehr aufrecht stehen konnte. Die
Lindleys trugen sie zu einem erstaunlich weichen Bett, in dessen
Tiefen sie gemeinsam mit ihren Kindern versank.
»Mutter«,
drang Chuntians klare Stimme in ihr Bewusstsein, das sich im Kreis
drehte und ihr keinen Frieden gönnen wollte. »Bitte, du
darfst dich nicht aufgeben. Jinzi und ich, wir kommen allein nicht
zurecht.«
Yazi
spürte eine Welle der Übelkeit, die aus ihrem Magen quoll.
Hustend richtete sie sich auf und rannte aus dem Zimmer, um in einer
Ecke vor dem Eingang des Hotels das Abendessen zu erbrechen. Krämpfe
schüttelten sie und sie zitterte vor Kälte, obwohl es eine
milde Spätsommernacht war. Völlig entkräftet vergrub
sie das Gesicht in den Händen und weinte, bis sie sich fühlte
wie ein leeres Fass, aus dem jeder Tropfen entwichen war.
Andrew
hatte sie vielleicht aus irgendeinem Grund verlassen. Vielleicht
musste er sich verstecken, vielleicht lag er irgendwo schwer verletzt
und vielleicht – sie musste diese Erwägung zulassen –
war er tot. Es war möglich, dass sie niemals erfahren würde,
was geschehen war. Sie wusste nicht, wie sie in dieser Lage
weiterleben sollte, ohne den Verstand zu verlieren.
Sie
kauerte vor dem Haus, bis der Morgen graute. Ein kleiner Garten lag
vor dem Hoteleingang. Sie sah die ersten Lastenträger daran
vorbeilaufen und musste ausweichen, als ein paar Diener sich mit
Kisten näherten, die in das Hotel getragen werden sollten. Auf
schweren Beinen folgte sie ihnen, um nicht mit einer Landstreicherin
verwechselt und verscheucht zu werden. Sie fand das Zimmer der
Lindleys wieder. Augustus und Marie schliefen noch auf ihrem breiten
Bett. Sie betrat den kleinen, angrenzenden Raum, wo ihre Kinder
lagen. Jinzi schlummerte friedlich, aber Chuntian saß aufrecht
da und starrte ihr mit großen, verängstigten Augen
entgegen.
»Ich
fürchtete, du kommst nicht mehr«, sagte sie nur, doch lag
in diesen schlichten Worten ein schwerer Vorwurf. Yazi setzte sich
seufzend auf das Bett und legte den Arm um ihre Tochter, deren Körper
steif
Weitere Kostenlose Bücher