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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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gefielen ihr. Jener Sündenpfuhl, den Joseph Andrews
als Gefahr für aufrechte Europäer empfunden hatte, begann
in ihrem Leben eine Selbstverständlichkeit zu werden, deren
Anblick sie nicht mehr verstörte.
         In
dem Speisesaal des Hotels blies sie entschlossen die Staubflocken vom
Piano, öffnete die Klappe über der Tastatur und versuchte,
ein paar Melodien zu klimpern. Sie klangen schräg, da das
Instrument verstimmt war. Ian McGregor fehlte sicher das Geld, diesen
Missstand zu beheben, doch während Viktorias Finger über
die Tasten glitten, um Walzermelodien und Schuberts Lieder erklingen
zu lassen, verdrängte die Freude an einer lang entbehrten
Leidenschaft alle Misstöne. Viktoria spielte mit zunehmender
Begeisterung, summte vor sich hin und vergaß für eine
Weile all ihre Sorgen. Sie spürte einen Schatten in ihrem
Rücken, doch als sie sich umdrehte, huschte die kleine Gestalt
auch schon davon.
         Das
Abendessen wurde ihnen wie gewöhnlich aufs Zimmer gebracht, denn
die Anwesenheit eines chinesischen Jungen galt im Speisesaal als
unpassend. Dewei verspeiste zufrieden eine englische Pastete. Dann
wischte er sich den Mund ab und warf Viktoria einen anerkennenden
Blick zu.
         »Das
war eine gute Idee.«
         Sie
musste nicht fragen, was er meinte.
         »Wir
werden erst einmal nicht rausgeworfen, auch wenn dein Konsulat nichts
mehr zahlt«, redete er weiter. »Wenn ich weiter in der
Küche mithelfe und du abends für die Gäste spielst,
dann bekommen wir sogar dreimal täglich Essen.«
         Viktoria
lächelte triumphierend. Der Plan war aufgegangen.
         »Du
sollst dabei dieses hübsche Kleid anziehen und dein Haar offen
tragen«, fügte er hinzu. Viktoria nickte fügsam. Sie
ging davon aus, dass Ian McGregor den Beschlüssen seiner Frau
nicht widersprechen würde, auch wenn sie für die Gäste
weiterhin unsichtbar blieb.

    ******

         Zwei
Wochen später schritt Viktoria gelassen an dem Empfangsherrn
vorbei, der ihr bisher jeden Zugang zum deutschen Konsulat verwehrt
hatte. Sie wedelte mit dem Einladungsschreiben von Max von Brandt wie
mit einem Fächer vor ihrem Gesicht. Der Triumph schmeckte
köstlich. Das flaschengrüne Winterkleid war schlicht, aber
inzwischen wieder völlig sauber und ließ sie höchst
respektabel aussehen. Zwar harmonierten Koralle und Türkis des
Drachenreifs farblich nicht optimal, doch wollte Viktoria bei einem
so wichtigen Gespräch das letzte Erinnerungsstück an ihren
Vater am Handgelenk spüren.
         Sie
trat ein, knickste. Max von Brandt erhob sich.
         Er
wirkte älter, als sie ihn in Erinnerung hatte. Silberfäden
durchzogen seinen makellos gestutzten Backenbart und seine
Erscheinung schien nun etwas behäbig, fast schwerfällig.
Sie begriff nicht mehr, was sie an diesem Mann einst anziehend
gefunden hatte, doch war das jetzt auch unwichtig.
         Der
Handkuss blieb diesmal aus. Sie wurde auf einen Stuhl gewiesen, dann
nahm auch der Gesandte wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.
         »Nun,
Fräulein Virchow, Sie scheinen eine sehr … eigenwillige
Frau.« Sein Ton war jovial, doch fehlte jene schmeichelhafte
Galanterie, die er ihr einst gegönnt hatte. »Zunächst
streiten Sie sich öffentlich mit einem angesehenen Mandarin,
einem Anhänger von Li Hongzhang, dem wichtigsten Beamten des
Kaiserhauses, der dem Westen wohlgesonnen ist und unserem Heimatland
gute Geschäfte ermöglichen kann …«
         Viktoria
zuckte zusammen. Diese alte Geschichte schien ihr nun völlig
unwichtig.
         »Es
gefiel mir nicht, wie er seine Frau behandelte«, verteidigte
sie sich. Max von Brandt stieß einen Seufzer aus.
         »Überall
auf der Welt, mein verehrtes Fräulein, hat der Mann die
Oberherrschaft über die Frau gewonnen. Doch in kaum einem Land
ist es ihm so grundlegend gelungen wie in China.«
         Die
Selbstgefälligkeit dieser Aussage weckte in Viktoria den Wunsch,
Max von Brandt einen mittelschweren Gegenstand an den Kopf zu werfen.
Allerdings hatte sie keinen zur Hand, was wohl ein Glück war.
         »Das
mag so sein, aber deshalb muss ich es nicht richtig finden«,
erwiderte sie trotzig.
         »Nein,
das müssen Sie natürlich nicht«, entgegnete der
Gesandte sanft. »Aber etwas mehr diplomatisches Feingefühl
im Umgang mit einem wichtigen Mann wäre trotz all dem aufrechten
Zorn ratsam gewesen.«
         Viktoria
senkte den Kopf. Max von Brandt hatte zweifellos Recht, wie

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