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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Missgeschick,
das ihr früher sehr oft passiert war. Das ungeschickte junge
Mädchen, dem Viktoria sich auf durchaus angenehme Weise hatte
überlegen fühlen können, war zu einer selbstsicheren
Dame von Welt herangereift. Hatte Nathans Liebe diesen Wandel
ermöglicht? Viktoria verspürte einen alten, vergessen
geglaubten Stich in ihrem Herzen.
         Sie
gab eine gekürzte, gefällige Fassung ihrer bisherigen
Abenteuer zum Besten, doch reichte diese aus, um Anette ein wenig aus
ihrer vornehmen Lässigkeit herauszureißen. Sie starrte
Viktoria kurz mit offenem Mund an, in dem noch Sandwichreste
steckten. Dann schluckte sie rasch.
         »Sie
sind allein mit einem Karren durchs Land gezogen, wurden von Piraten
entführt und sprangen in den gelben Fluss, um ihnen zu
entkommen?«
         »Ungefähr
so«, entgegnete Viktoria. Plötzlich empfand sie Stolz auf
ihre Abenteuer. Die Schäbigkeit ihrer Erscheinung schien
unwichtig geworden zu sein. »Ich hatte aber Freunde, die mir
halfen«, fügte sie um der Wahrheit willen hinzu. Dann
verschwand die elegante, saubere, entspannend friedliche Umgebung
hinter einem Schleier der Sorge und Angst. Sie wollte nicht mehr hier
sein, unter all diesen teuer gekleideten Leuten sitzen, die über
Belanglosigkeiten plauderten. Lieber hätte sie gemeinsam mit
Dewei in dem schäbigen Hotelzimmer ein Buch gelesen. Noch
stärker aber war der Wunsch, nun an der Seite jenes Mannes sein
zu können, den sie durch ihr Ungeschick zu einem Gefangenen
gemacht hatte.
         »Was
für Freunde? Chinesen etwa?«, holte Anettes Stimme sie in
die Wirklichkeit zurück.
         »Ja,
am Ende waren es nur noch Chinesen«, erwiderte Viktoria und
nahm geduldig einen weiteren, fassungslosen Blick hin.
         »Nun,
es war auch für mich nicht einfach mit … mit Nathans
Familie. Juden, und dann auch noch aus Bagdad.«, meinte Anette.
»Mein Vater verzieh mir recht schnell, was ich getan hatte,
denn er sah, dass ich glücklich war. Maman war etwas
störrischer, doch Nathans Leute …«
         Sie
stieß einen Seufzer aus und verzog das Gesicht.
         »Sie
haben ihn zunächst meinetwegen verstoßen. Wäre ich
konvertiert, hätten sie mich vielleicht doch akzeptiert, aber
Nathan wollte mich zu nichts drängen. Wir verbrachten zunächst
ein paar Monate in Japan und wurden auf der Reise dorthin einfach von
einem Schiffskapitän getraut, ohne religiöse Zeremonie.
Nathan macht jetzt selbst seinen Weg, ohne Unterstützung der
Familie, und hat gemeinsam mit einem Partner aus Tokyo sein eigenes
Handelshaus eröffnet. Wir kommen gut miteinander aus, weil er
modern erzogen wurde. Aber Chinesen, ich meine, die sind doch völlig
anders, ich denke, es muss sehr, sehr schwer sein, sich mit ihnen zu
verstehen.«
         Viktoria
lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Sie war zu ausgelaugt für
eine längere Diskussion.
         »Vielleicht«,
meinte sie mehr zu sich selbst als zu Anette, »sind Chinesen im
Grunde gar nicht so anders, wenn man erst einmal eine Ahnung davon
hat, unter welchen Bedingungen sie leben. Ich meine, es gibt in jedem
Land die unterschiedlichsten Menschen, mit denen man sich eben
versteht oder nicht.«
         Anette
widersprach nicht, sondern winkte den Diener herbei, um endlich den
Kaffee zu bestellen. Viktoria musterte beeindruckt die gelassene
Handbewegung einer Frau, die es nun gewöhnt war, Weisungen zu
erteilen. Dann fügten die Umstände sich in ihrem Kopf
zusammen. Anette war nun die Frau eines wohlhabenden Mannes, der
sicher Einfluss in der internationalen Siedlung besaß. Ohne
einen Augenblick zu zögern, richtete sie sich auf.
         »Anette«,
rief sie und drückte die weiche Hand der Französin. »Bitte,
Sie müssen mir helfen.«

    ******

         Sie
trafen sich zwei Tage später in einem Kaffeehaus in der
französischen Konzession wieder. Viktoria hatte ihr
Musselinkleid angezogen, obwohl sie darin ein wenig fröstelte,
denn es war immer noch ihr bestes Kleidungsstück. Das Haar war
durchgekämmt und hochgesteckt. In dieser Aufmachung vermochte
sie Anettes eleganter Erscheinung gefasster gegenüberzutreten.
Ihr Herz klopfte hoffnungsvoll, als sie beide ihren Kaffee
bestellten.
         »Ich
habe mit Nathan gesprochen und er hat sich umgehört«,
begann Anette sogleich unaufgefordert. »Nur müssen Sie
verstehen, dass er als Jude, nun ja, ihm stehen nicht alle Türen
offen. Im englischen Club ist er natürlich nicht erwünscht,
aber trotzdem, er hat

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