Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
erstaunlich karg eingerichtet, wie
Viktoria immer wieder auffiel. Schlichte Möbel aus Mahagoniholz,
ein paar Gemälde von Familienmitgliedern an der Wand, deren
Tapete eintönig weiß war. Amalia Virchow duldete keinerlei
Zierrat. Viktoria staunte immer wieder, wie sehr ihre Eltern sich
voneinander unterschieden. Ihr Vater füllte jedes Zimmer mit
Statuen und Bildern, sodass die Augen der Eintretenden sofort
beschäftigt waren.
Amalia
Virchow setzte sich auf einen ihrer harten Stühle. Mit einer
Handbewegung forderte sie die Tochter auf, diesem Beispiel zu folgen.
»Weshalb
wünschen Sie mich zu sehen?«, fragte Viktoria mit einem
unangenehmen Kribbeln im Magen. Sie sprach nicht gern allein mit
ihrer Mutter, die ihr so fremd war.
»Du
hast deiner Zofe Schmuck geschenkt«, kam es ohne Zögern.
Viktoria nickte.
»Wer
hat es Ihnen erzählt?«, fragte sie lediglich.
»Das
ist unwichtig. Eine gute Hausherrin weiß immer, was unter ihrem
Dach vor sich geht.«
Viktoria
staunte über das Talent ihrer Mutter, jede Aussage in einen
Vorwurf oder eine Ermahnung zu verwandeln.
»Ja,
ich habe Magda mein Bernsteincollier und die passenden Ohrringe
gegeben. Sie wird demnächst einen Angestellten meines Vaters
heiraten und ich dachte, dabei sollte sie angemessen gekleidet sein.«
Ihre
Mutter verzog keine Miene.
»Du
bist Magda gegenüber sehr großzügig. Das schickt sich
nicht immer. Es kann bei den anderen Dienstboten zu Missstimmung
führen. Du musst lernen, deine Gunst gerecht zu verteilen.«
Viktoria
fuhr verärgert zusammen, denn sie hasste Maßregelungen.
Dann stieß sie ein Kichern aus.
»Meinetwegen.
Ich habe so viele Schatullen mit Schmuck, dass ich den Überblick
verliere. Schicken Sie die anderen Dienstmädchen zu mir und ich
werde ihnen auch etwas geben.«
Dann
wollte sie aufstehen und gehen, doch eine Handbewegung ihrer Mutter
zwang sie auf den unbequemen Stuhl zurück.
»Du
bist leichtsinnig und verantwortungslos. Wie kannst du das Erbe
deiner Vorfahren so einfach aus Trotz verschleudern?«
Viktoria
zuckte mit den Schultern.
»In
Silber gefasster Bernstein, wie ich ihn Magda gab, ist kein Vermögen
wert. Den anderen Mädchen kann ich Ähnliches schenken. Dann
bleiben noch genug Juwelen, mit denen ich bei Empfängen
brillieren kann.«
Sie
wollte nicht sagen, welches Glück sie empfunden hatte, ein
freudiges Strahlen in Magdas Augen zaubern zu können. Ihre
Mutter hätte es nicht verstanden. Sich mit schönen Dingen
zu umgeben und weniger wohlhabenden Menschen Freude schenken zu
können, waren für Viktoria die zwei wesentlichen Vorteile
der reich Geborenen. Nachteile, so befand sie, gab es ebenfalls
genug. Man wurde überall angestarrt und nicht selten aus Neid
angefeindet.
Ihre
Mutter seufzte nur.
»Wie
einfach du das alles siehst. Man merkt, dass es dir nie an Geld
gemangelt hat. Du verschleuderst gedankenlos, was du besitzt.«
Viktoria
zog die Schultern zurück. Sie wollte fragen, was daran denn so
schlimm wäre, wenn doch genug übrig blieb, zog es aber vor,
die Mutter nicht weiter zu provozieren.
Sie
stand nochmals auf.
»Es
tut mir sehr leid, wenn ich Ihr Missfallen erregt habe«,
erklärte sie aus alter Gewohnheit, um das Gespräch endlich
zu beenden. »Ich werde mich bessern und Magda nichts mehr von
meinem Besitz überlassen.«
Zu
ihrer Erleichterung hielt die Mutter sie nicht mehr zurück.
Viktoria fühlte, wie ihre Anspannung nachließ, sobald sie
wieder durch den Gang in ihr Zimmer eilte. Sie legte den Hut ab und
schnürte selbst ihre Stiefel auf. Dann klingelte sie nach Magda.
Ihre
Zofe erschien sogleich mit schuldbewusst gesenktem Blick.
»Es
tut mir leid, Fräulein Virchow. Ich weiß, die gnädige
Frau sollte es nicht erfahren, aber eines der anderen Mädchen
hat mitbekommen, dass ich den Schmuck hatte. Ich war wohl
unvorsichtig.«
Viktoria
fegte Magdas Selbstanklage mit einer Handbewegung fort.
»Jetzt
weiß meine Mutter es eben. Daran ist nichts zu ändern. Hol
mir bitte noch etwas Brot und Käse aus der Küche. Ich habe
einen riesigen Hunger.«
Nachdem
die Tür wieder hinter Magda zugefallen war, legte Viktoria ihr
Reitgewand ab und holte das weiße, mit hellen Blüten
verzierte Musselinkleid aus dem Schrank, das sie am liebsten trug.
Zwar
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