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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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Geist nie gekommen. Ich bezweifle, dass er überhaupt eine ­Vorstellung von der Größe des Vermögens seines Onkels hatte oder auch nur einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, ein Teil davon könne irgendwann einmal ihm zufallen.
    Als deshalb der Postbote ihm an einem schönen Frühlingsmorgen die Hochzeitsanzeige von Sir Michael und Lady Audley brachte, löste dies weder Verdruss noch Erstaunen im phlegmatischen Gemüt dieses ­Gentlemans aus. Am selben Tag erhielt er außerdem einen Brief ­seiner sehr ungehaltenen Cousine Alicia. Darin empörte sie sich, dass ihr Vater gerade eine wachspuppenhafte junge Person geheiratet habe, kaum älter als sie selbst, mit flachsfarbenen Ringellocken und ständigem Gekicher. Robert las Alicias wütendes, mehrfach durchgestrichenes und verbessertes Schreiben, ohne auch nur das Bernsteinmundstück seiner Pfeife aus seinem Mund zu nehmen. Während des Lesens zog er allerdings seine dunklen Augenbrauen hoch, was seine Art war, Überraschung zum Ausdruck zu bringen. Nach der Lektüre des Briefes legte Robert die Pfeife beiseite und rüstete sich für die Anstrengung, die das Durchdenken dieser Angelegenheit ihm bereiten würde.
    „Alicia und ihre Stiefmutter werden wohl aneinander­geraten. Ich hoffe nur, sie streiten nicht auch noch ­während der Jagdsaison oder kommen auf die Idee, sich beim ­Dinner unangenehme Worte an den Kopf zu ­werfen. ­Streiterei ist stets schädlich für die Verdauung eines ­Mannes“, ­murmelte er nach einer halben Stunde des Nach­sinnens.

    Ungefähr um zwölf Uhr am kommenden Morgen machte sich Robert Audley auf den Weg in das Stadtzentrum, wo er das eine oder andere erledigen wollte. Als er gerade an einer Ecke nach einer Droschke Ausschau hielt, wurde er beinahe von einem Mann umgestoßen, der ungestüm an ihm vorbeilaufen wollte.
    „Seien Sie doch so gut und passen Sie auf, wohin Sie gehen, mein Freund“, ermahnte Robert den eiligen ­Passanten. „Sie sollten einen Menschen vorwarnen, bevor Sie ihn zu Boden werfen und mit Füßen treten.“
    Der Fremde blieb stehen, betrachtete den Sprecher ­forschend und schnappte dann nach Luft. „Bob!“, rief er mit höchst erstaunter Stimme.“
    Robert Audley legte den Kopf schief. „Ich habe Sie schon früher irgendwo einmal gesehen, mein Freund“, erwiderte er, wobei er das aufgeregte Gesicht des Mannes neu­gierig musterte, „aber ich will mich hängen lassen, wenn ich mich daran erinnern kann, wann oder wo das war.“
    „Was?“, stieß der Fremde vorwurfsvoll hervor. „Du willst mir doch nicht weismachen, dass du George Talboys vergessen hast?“
    Roberts Gesicht hellte sich auf. „Nein, das habe ich ­wirklich nicht!“, entfuhr es ihm mit für ihn ganz ungewohntem Nachdruck. „George! – Wo warst du? Was tust du hier? Erzähle!“ Er hakte sich in den Arm des Freundes ein.
    George Talboys berichtete von seiner Rückkehr aus Australien am vergangenen Abend. Und am Ende fügte er hinzu, dass er ein Bündel Banknoten in seiner Tasche habe und nun zu seiner Bank müsse.
    „Ich werde dich begleiten, George. Wir regeln die Sache in fünf Minuten. Und dann reden wir.“
    George erklärte seinem Freund jedoch, dass er nach der Bank, noch bevor er irgendwo hingehe, um sich zu ­rasieren oder auch nur zu frühstücken, unbedingt ein ganz bestimmtes Kaffeehaus in der Bridge Street auf­suchen müsse, wo er einen Brief seiner Frau ­vorzufinden hoffe.
    „Gut, dann gehen wir erst zur Bank, dann zum Kaffeehaus und dann wohin du willst!“, rief Robert. „Die Vorstellung, dass du eine Frau hast! – Was für eine absurde Idee!“
    >Während sie in einer zweirädrigen Droschke den ­Ludgate Hill, die Fleet Street und den Strand entlang ­ratterten, erzählte George Talboys von all seinen kühnen Hoffnungen und Träumen. „Ich werde ein Landhaus an den Ufern der Themse erwerben, Bob“, sprach er, „für meine Frau, unser Kind und mich. Und wir werden eine Yacht haben ...“
    Im Kaffeehaus in Westminster starrten die Kellner den hohläugigen, unrasierten Fremden mit dem ungestümen Auftreten voll Verwunderung an. Einer der Kellner fragte nach den Wünschen des Herrn. Doch George Talboys wollte nicht viel, nur eine Flasche Sodawasser und die Auskunft, ob für ihn ein Brief hier läge. Er nannte seinen Namen.
    Noch bevor sich die beiden jungen Männer in der Nähe des offenen Kamins niederlassen konnten, brachte der Kellner das Sodawasser und erklärte, dass leider kein Brief für ihn

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