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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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...“
    „Was dann?“, wollte Mylady wissen.
    „Dann muss ich annehmen, dass etwas geschehen ist“, sagte er, und erneut überfiel ihn eine eigenartige Unruhe.

12. Kapitel

    D ie Septembersonne glitzerte auf der Fontäne des Springbrunnens in den Temple Gardens, als Robert Audley heimkehrte. In dem netten kleinen Zimmer, in dem George geschlafen hatte, fand er nur die trillernden Kanarienvögel vor. Die Räume waren in dem gleichen ordentlichen Zustand, in dem die Aufwartefrau sie nach der Abreise der beiden jungen Männer zurückgelassen hatte. Nicht ein Stuhl war verschoben, nicht ­einmal der Deckel der Zigarrendose war aufgeklappt – nichts deutete auf die Anwesenheit von George Talboys hin. Mit einem letzten Funken Hoffnung suchte Robert die Kaminsimse und Tische ab, falls doch irgendwo ein Brief von George vorhanden sein sollte.
    „Wohlan, dann Southampton“, murmelte er und setzte seinen Hut wieder auf. Er verließ das Haus, um zum ­Bahnhof zu gelangen.
    Bei Mr Robert Audleys phlegmatischem Naturell war Zielstrebigkeit die Ausnahme von der Regel. Wenn sie aber doch einmal in ihm aufkeimte, dann nur als eine ­merkwürdig verbissene, eiserne Hartnäckigkeit, die ihn bei der Verfolgung seines Zieles vorwärts trieb. Dies führte dazu, dass er, hatte er erst einmal einer Angelegenheit seine volle Aufmerksamkeit geschenkt, bemerkenswert scharfsichtig war.
    Letzten Endes möchte ich doch sagen, dass er die ­Mitglieder seines Advokatenstandes, die seine Fähig­keiten so unterschätzten, ziemlich überrascht haben würde, wenn er sich einmal der Anstrengung unterzogen hätte, eine Sache vor Gericht zu vertreten.

    Zu der Zeit, da er Southampton erreichte, wurde es bereits dunkel. Er fand seinen Weg zu der ärmlichen Häuserreihe in der Straße, die zum Wasser führte und in der Georges Schwiegervater wohnte. Als der junge Mann die Straße hinunterkam, spielte der kleine Georgey gerade am ­offenen Wohnzimmerfenster. Vielleicht war es diese Tatsache und auch das düstere und leblose Aussehen des Hauses, die in Robert Audley die Gewissheit ­wachsen ­ließen, dass er den Mann, den er suchte, hier nicht ­antreffen werde.
    Der alte Mann öffnete selbst die Tür, während das Kind verstohlen aus dem Wohnzimmer spähte, um den ­fremden Herrn zu betrachten. Mr Maldon erklärte, er sei hocherfreut, Robert Audley wiederzusehen. Er erinnere sich, bereits in Ventnor das Vergnügen gehabt zu haben, und zwar anlässlich des traurigen Ereignisses ... Statt seine Rede zu beenden, wischte er sich die wässrigen alten Augen. Der kleine Georgey beobachtete den Besucher heimlich mit seinen großen Augen.
    „Ich brauche wohl gar nicht erst die Frage zu stellen, wegen der ich eigentlich hier bin“, begann er. „Ich hatte gehofft, Ihren Schwiegersohn bei Ihnen vorzufinden.“
    „Sie wussten, dass er nach Southampton kommen würde?“
    „Er ist also hier?“ Roberts Gesicht hellte sich auf.
    „Nein, jetzt ist er nicht mehr hier, aber er war hier.“
    „Wann?“
    „Am späten gestrigen Abend. Er kam mit dem Postzug.“
    „Und ist sofort wieder abgefahren?“
    „Er blieb kaum länger als eine Stunde.“
    „Du lieber Himmel!“, rief Robert. „Welch überflüssige Sorgen dieser Mann mir bereitet hat! Was kann das alles nur bedeuten?“
    „Sie wussten demnach nichts von seiner Absicht?“
    „Von welcher Absicht?“
    „Ich meine seinen Entschluss, nach Australien zu ­reisen.“
    „Ich wusste, dass er bereits eine Weile mit dem ­Gedanken gespielt hat, war aber der Meinung, dass er zurzeit auch nicht mehr daran denke als sonst.“
    „Am heutigen Abend sticht er von Liverpool aus in See. Er kam hierher, um einen letzten Blick auf den ­Jungen zu werfen, wie er sich ausdrückte, bevor er England ­verlasse. Er blieb nur eine Stunde, küsste den Jungen, ohne ihn ­aufzuwecken, und verließ dann Southampton mit dem Postzug um Viertel nach zwei.“
    „Was kann das alles bloß bedeuten?“, sann Robert. „Warum hat George kein Wort gesagt? Er ist ohne ­Kleidung zum Wechseln abgereist.“ Ein äußerst merkwürdiges ­Verhalten, entschied Robert.
    Der Alte setzte eine sehr ernste Miene auf. „Wissen Sie, Mr Audley“, bemerkte er, indem er sich bedeutungsvoll gegen die Stirn klopfte, „ich fürchte manchmal, dass Helens Tod eine eigenartige Wirkung auf den armen George hat. – Vielleicht schreibt er Ihnen aus Liverpool und erklärt alles“, beschwichtigte Georges Schwieger­vater ihn. Es schien ihm viel daran zu

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