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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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Ablauf der Ereignisse geriet allmählich durcheinander. Es kam ihm vor, als seien Monate vergangen, seitdem er George aus den Augen verloren hatte. Es war so schwer zu glauben, dass nicht einmal achtundvierzig Stunden verstrichen waren, seit George ihn schlafend unter den Weiden am Forellenbach zurückgelassen hatte.
    Durch den Mangel an Schlaf schmerzten Roberts müde Augen und er warf sich auf sein Bett. „Ich werde noch die morgige Frühpost abwarten“, sagte er sich. „Wenn dann kein Brief von George dabei ist, breche ich unverzüglich nach Liverpool auf.“
    Am Ende seiner Kräfte fiel er in einen schweren Schlaf. Dieser Schlaf war zwar tief, aber bedauerlicherweise nicht erholsam, denn ihn quälten schreckliche Träume. Es waren Träume voll grauenhafter Bilder von Verworrenheit und Absurdität.
    Plötzlich fuhr Robert hoch. Er hörte, wie jemand an die Eingangstür zu seinen Räumen klopfte. Es war ein ­trüber, regnerischer Morgen. Der Regen schlug gegen die Fensterscheiben, während die Kanarienvögel verhalten ­miteinander zwitscherten – vielleicht beklagten auch sie das trostlose Wetter. Robert konnte nicht sagen, wie lange schon an seine Tür gepocht wurde.
    „Ich nehme an, es ist Mrs Maloney“, murmelte er vor sich hin. „Warum kann sie nicht ihren Schlüssel benutzen, anstatt einen todmüden Mann aus seinem Bett zu reißen.“
    Die Person klopfte erneut an die Tür, dann aber, des Klopfens offensichtlich müde geworden, ließ sie davon ab.
    Etwa eine Minute später wurde der Schlüssel im Schloss gedreht und Mrs Maloney trat ein. „Sind Sie es, Mrs ­Maloney?“, fragte Robert.
    „Ja, Sir.“
    „Warum, um Himmels willen, haben Sie diesen Lärm an der Tür gemacht, wenn Sie die ganze Zeit den Schlüssel bei sich hatten?“
    „Lärm an der Tür, Sir?“
    „Ja, dieses höllische Klopfen.“
    „Ich habe ganz sicher nicht ein einziges Mal geklopft, Mr Audley, sondern bin gleich mit dem Schlüssel reingekommen.“
    „Wer hat denn dann geklopft? Da hat jemand einen ganz fürchterlichen Krawall an der Tür geschlagen. Sie müssen dieser Person doch auf der Treppe begegnet sein. Haben Sie jemanden gesehen?“
    „Keine Sterbensseele, Sir! – Aber wenn es etwas ­Wichtiges war, dann kommt diese Person ganz sicher ­wieder“, meinte Mrs Maloney beschwichtigend.
    „Ja, natürlich. Wenn es sich um eine Sache von ­Bedeutung gehandelt hat, dann meldet sich die ­betreffende Person noch einmal“, murmelte Robert unruhig. Er fragte sich, ob das Klopfen etwas mit Georges Verschwinden zu tun haben könnte. Mehr denn je fühlte Robert, dass das Verschwinden seines Freundes von einem ­Geheimnis umgeben war. Was wäre, wenn etwa der habgierige, alte Schwiegervater versucht hätte, die beiden Freunde ­auseinanderzubringen, und zwar wegen der Verwaltung des Vermögens, die in Robert Audleys Händen lag? Und da selbst in diesen zivilisierten Zeiten die ­verschiedensten unglaublichsten Gräueltaten begangen wurden ... Was wäre, wenn der Alte George nach Southampton gelockt und ihn dort ermordet hätte, um dadurch in den Besitz jener zwanzigtausend Pfund zu gelangen, die Robert zum Wohle des kleinen Georgey treuhänderisch verwaltete? Der nächste Schritt des Alten war dann nur eine Frage der Logik. Robert schauderte.
    Dennoch konnte keine dieser Annahmen die telegraphische Nachricht im Kamin des Alten erklären, und gerade diese war es, die Roberts Herz und Verstand mit einem unbestimmten Gefühl der Unruhe erfüllte.
    Auch am nächsten Tag brachte der Postbote keinen Brief von George Talboys. Und jene Person, die an die Tür geklopft hatte, kam auch nicht wieder. Und so verließ Robert Audley auf der Suche nach seinem Freund erneut den Fig Tree Court, um sich auf den Weg nach Liverpool zu machen.

    Der Expresszug nach Liverpool war vor einer halben Stunde abgefahren. Es blieb ihm nun nichts anderes übrig, als auf einen Bummelzug zu warten. Robert Audley ärgerte sich ganz fürchterlich über diese Verzögerung. Ein halbes Dutzend Schiffe mochten in der Zwischenzeit nach Australien auslaufen, während er ungeduldig auf dem Bahnsteig auf und ab wanderte, über Gepäckwagen und Träger stolperte und dabei sein Pech verfluchte.
    Er kaufte sich die Times und blickte auf die zweite Spalte, getrieben von einem morbiden Interesse an den Suchanzeigen nach vermissten Personen. Da gab es eine Meldung über einen jungen Mann, den man irgendwo am Strand von Lambeth ertrunken aufgefunden hatte. Was wäre, wenn

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