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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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dieses Schicksal auch George getroffen hätte?
    Um acht Uhr abends traf Robert endlich in Liverpool ein. Es war schon zu spät, um etwas über George in ­Erfahrung zu bringen. Und so konnte er sich nur allgemein ­erkundigen, ob Schiffe während der ver­gangenen zwei Tage zu den Antipoden in See gestochen waren. Er erfuhr von einem Herrn, dass am Nachmittag tatsächlich ein ­Emigrantenschiff nach Melbourne abgesegelt war, die ­Victoria Regia.
    Am nächsten Morgen um neun Uhr fand sich Robert Audley im Schiffskontor ein. Er war die erste Person, die dort nach den Schreibern eintrat. Der Schreiber, an den er sich wandte, zog seine Bücher zu Rate, ließ seine Feder die Liste der Reisenden auf der Victoria Regia entlanglaufen und teilte Robert dann mit, dass sich unter den ­Passagieren niemand des Namens Talboys befinde. Robert aber bohrte weiter. Habe sich irgendeiner der Fahrgäste erst kurz vor Abfahrt des Schiffes in die Schiffsliste eingetragen? Ein anderer Schreiber sah von seinem Pult auf, als Robert diese Frage stellte. Ja, erklärte er, er entsinne sich eines jungen Mannes, der erst um halb vier am Nachmittag zum Kontor gekommen sei und seine Schiffspassage bezahlt habe. Sein Name sei der letzte auf der Liste – Thomas Brown.
    Robert Audley zuckte mit den Achseln. Es gab ­keinen Grund, warum George einen falschen Namen ­angenommen haben sollte. Dennoch erkundigte er sich nach dem Aussehen dieses Mr Thomas Brown. Nein, die Leute seien hinein- und hinausgelaufen, und er habe ­diesem letzten Passagier keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
    Robert dankte den Schreibern für ihr Entgegen­kommen und wünschte ihnen einen guten Morgen. Er konnte nun nichts mehr tun, als nach London zurückzukehren. Doch da kam ihm einer der Schreiber nachgelaufen und ­berichtete, dass Mr Brown seinen Arm in einer Schlinge getragen habe. „Vielleicht hilft Ihnen das weiter, Sir“, rief er und trat mit einem Lächeln zurück in das Kontor. Doch ­leider war diese Tatsache für Robert Audley wenig hilfreich.

    Um sechs Uhr abends betrat Robert seine Räume, erneut zutiefst erschöpft von seinen vergeblichen Nachforschungen. Mrs Maloney brachte ihm sein Dinner und ein Pint Wein aus einer Taverne am Strand. Der Abend war ­unwirtlich und kühl, und so hatte die Aufwartefrau ein tüchtiges Feuer im Wohnzimmerkamin angezündet. Nach dem Verzehr eines halben Hammelkoteletts saß Robert gedankenverloren am Tisch und rauchte eine Zigarre, während er in die Flammen starrte.
    Talboys ist niemals nach Australien gesegelt, schloss er nach langem und gründlichem Überlegen. Wenn er lebt, ist er noch in England. Und wenn er tot ist, wurde seine Leiche in irgendeinem Winkel des Landes versteckt.
    Stundenlang verweilte er so, rauchte und dachte. ­Quälende und finstere Gedanken hinterließen einen ­dunklen Schatten auf seinem Gesicht. Erst sehr spät am Abend erhob er sich von seinem Stuhl, schob den Tisch ­beiseite und rollte sein Schreibpult in die Nähe des Kamins. Dann nahm er ein Blatt Kanzleipapier heraus und tauchte den Kiel seiner Schreibfeder in die Tinte.
    Er stützte die Stirn in seine Hand und versenkte sich erneut in tiefe Gedanken: Ich werde ein Protokoll ­aufzeichnen, und zwar über alles, was in der Zeit seit unserer Abreise nach Essex bis heute Abend geschehen ist. Er fasste diese Niederschrift in kurzen Sätzen ab, die nur den Sachverhalt wiedergaben und die er beim Schreiben nummerierte.
    Er rauchte eine halbe Zigarre, dann hatte er seine ­Gedanken in geordnete Bahnen gebracht und begann zu schreiben:
    1. Ich schreibe an Alicia und mache den Vorschlag, George zum Court mitzubringen.
    2. Alicia antwortet und berichtet von Lady Audleys ­Einspruch gegen diesen Besuch.
    3. Trotz dieses Einspruchs fahren wir nach Essex. Ich sehe Mylady. Mylady weigert sich unter dem ­Vorwand der Müdigkeit, George an diesem Abend ­kennenzu­lernen.
    4. Sir Michael lädt George und mich für den folgenden Abend zum Dinner ein.
    5. Am nächsten Morgen erhält Mylady eine telegraphische Depesche, die sie nach London ruft.
    6. Alicia zeigt mir einen Brief von Mylady, in dem diese um Mitteilung ersucht, wann mein Freund Mr Talboys und ich Essex zu verlassen gedenken. Diesem Brief ist ein Postskriptum beigefügt, das obiges Ersuchen ­wiederholt.
    7. Wir sprechen am Court vor und bitten, das Haus besichtigen zu dürfen. Die Zimmerflucht von Mylady ist verschlossen.
    8. Dennoch gelangen wir durch einen Geheimgang, dessen Vorhandensein

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