Das Geheimnis der Maurin
sagst!«, zischte Jaime zurück, so dass Zahra zusammenzuckte.
»Jaime, bitte, er … Abdu …«
»… weiß genau, was er sagt«, beendete Jaime ihren Satz, ohne Abdarrahman aus den Augen zu lassen. »Denn du«, er warf Zahra einen kurzen Seitenblick zu, »wirfst mir insgeheim doch genau das Gleiche vor, nur dass er immerhin den Mut aufbringt, es mir mitten ins Gesicht zu sagen!«
»Aber das stimmt doch gar …«
»Schweig, Zahra, schweig! Und dir Abdu«, er wandte sich wieder seinem Sohn zu, »dir kann ich nur raten, die Augen zu öffnen und zu erkennen, wo dein wahrer Feind ist – zumindest, wenn du mich nicht tatsächlich zum Feind haben willst!«
Jaime verließ den Raum, ohne einem von ihnen noch einen Blick zuzuwerfen.
Obwohl Zahra wusste, dass es ihren Schmerz noch vergrößern würde, konnte sie das nicht davon abhalten, zur Bücherverbrennung auf der Plaza de Bibarrambla zu gehen. Sie hatte das Gefühl, mit eigenen Augen sehen zu müssen, wie Cisneros die Bücher ihres Volkes den Flammen zum Fraße vorwarf, um seinen Hass auf sie und ihren Glauben auch nur annähernd begreifen zu können. Sie wartete bewusst, bis Raschid und Jaime das Haus verlassen hatten, und bat Zubair, sie zu begleiten. Zu ihrem Verdruss war auch er erst nach einigem Hin und Her dazu bereit, weil er fand, dass dies kein Platz für eine ehrbare Frau sei, und als dann auch noch Yayah mitkommen wollte, streikte er beinahe wieder. Auch Zahra hatte kein gutes Gefühl dabei, ihren jüngsten Sohn mitzunehmen. Sie befürchtete, dass der stets nach Abenteuern lüsterne Junge in der Bücherverbrennung nur ein aufregendes Spektakel sehen würde, aber schließlich gab sie doch nach.
Die Plaza de Bibarrambla lag im Zentrum, unweit von einem erst kürzlich eingeweihten christlichen Gotteshaus. Trotz der frühen Stunde hatten sich bereits zahlreiche Menschen um den für den Scheiterhaufen abgesperrten Platz versammelt. Sogar eine Tribüne war errichtet worden. Zahra dirigierte Zubair und Yayah an eine Stelle, wo sich mehr Mauren als Christen aufhielten und man eine gute Sicht auf den Platz hatte.
Schon kurz darauf traf die feierliche Prozession ein. An der Spitze schritt ein gutes Dutzend mit Piken und Musketen bewaffneter Kohlenhändler. Sie lieferten das Holz, mit dem die Bücher verbrannt werden sollten. Ihnen folgte eine kleine Gruppe Franziskaner, die ein weißes Kreuz und das Banner der Inquisition trugen, und nach ihnen kam Cisneros selbst, umgeben von einer Traube von Priestern, Granden und anderen hochgestellten Persönlichkeiten, die zu den treuesten Dienern der Inquisition zählten. Hinter ihnen schritten in zwei langen Doppelreihen schwarz-weiß gekleidete Wachleute, gefolgt von einer unübersehbaren Reihe von Maultierwagen, auf denen Berge maurischer Bücher herangeschafft wurden.
Wie immer trug Cisneros eine braune, wollene Franziskanerkutte und schlichte Sandalen, und er thronte auch nicht – wie seine Amtskollegen andernorts – auf einem prächtig aufgezäumten Ross, sondern schritt wie jeder einfache Mann vom Volk zu Fuß. Obwohl er für diese angesichts seines hohen Amtes geradezu provozierende Bescheidenheit erst vor wenigen Wochen erneut vom Papst getadelt worden war, führte er sie unbeirrt fort.
Wie von unsichtbaren Händen geschoben, teilte sich die Masse der Wartenden, um die Prozession zum Podium ziehen zu lassen. Für einen kurzen Moment fing Zahra Cisneros’ Blick auf: Durchdringend und messerscharf empfand sie ihn, und so kalt, dass sie ein Schauer überlief.
Immer mehr bis zum Überquellen mit Büchern beladene Wagen trafen ein. Fassungslos glitten Zahras Augen zu dem Scheiterhaufen …
Cisneros begann, die Messe zu lesen, und hob die Hände zum Gebet. Die Christen stimmten ein.
Plötzlich zupfte Yayah seine Mutter aufgeregt am Ärmel ihrer Tunika. »Mutter, schaut! Da drüben ist Abdu!«
Zahra sah in die Richtung, in die Yayah wies, und erkannte ihren Ältesten kaum wieder, so hart und verbissen war seine Miene.
»Können wir nicht zu ihm gehen, Mutter?«
Statt ihm zu antworten, sah Zahra zu Zubair, der Abdarrahman ebenfalls entdeckt hatte und ähnlich besorgt wirkte wie sie.
»Das werden sie nicht wagen«, versuchte er, sie zu beruhigen. »Nicht bei dem Aufgebot an Soldaten!«
»Aber dieser unglaubliche Zorn in seinen Augen …« Zahra räusperte sich, um das Zittern ihrer Stimme in den Griff zu bekommen. »Oh Gott, ich habe ihn noch nie dermaßen wütend gesehen, und auch seine
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