Das Geheimnis der Maurin
senkte den Kopf, aber Abdarrahman bemerkte es trotzdem, griff nach ihrer Hand und drückte sie – woraufhin Zahra noch heftiger weinen musste.
»Ich … es ist nichts!«, sagte sie hastig, als sie Jaimes besorgten Blick bemerkte, und zwang sich zu einem Lächeln. »Einfach nur die Anspannung vom Morgen, und … Nein, nichts!« Und doch flossen die Tränen immer weiter.
»Ich …«, stammelte sie da. »Ich frage mich nur einfach, wie lange wir noch über solche Dinge werden reden können. Wie lange werden wir unsere Kinder noch beschneiden, wie lange uns zu einer Pilgerreise bekennen dürfen? Wie wird unser Leben weitergehen? Wie … wie sollen unser Glaube und unsere Sprache, ja, unsere ganze Kultur denn ohne unsere Bücher am Leben bleiben?«
»Es wird sich ein Weg finden!«, versuchte Jaime, sie zu beruhigen. »Es kommen auch wieder bessere Zeiten!«
»Und für wen?« Abdarrahman sah seinen Vater herausfordernd an. »Für wen, Vater? Für Euch oder für uns?«
Schlagartig verdunkelte sich Jaimes Blick. »Hüte deine Zunge, Sohn! So gut ich verstehen kann, wie schwer der heutige Tag für dich gewesen ist – such die Verantwortlichen da, wo sie sitzen, und ich versichere dir, sie sitzen nicht an diesem Tisch!«
»Abdu, Jaime, bitte!« Flehend sah Zahra von einem zum anderen und schließlich auch zu ihrem Bruder. »Wir dürfen doch jetzt nicht auch noch innerhalb der Familie aufeinander losgehen!«
Zahra sah, wie Abdarrahman die Lippen zusammenpresste und seinen Blick starr auf den Lammeintopf in der Tischmitte richtete. Das Anschwellen und heftige Pochen seiner Stirnader verriet ihr, wie sehr dieses Thema weiter in ihm arbeitete, und auch Jaimes Wut stand spürbar im Raum.
»Jaime, bitte … wir … Die heutigen Ereignisse haben uns alle sehr aufgewühlt und werden sich sicher tief in uns einbrennen, aber für Abdu und seine Freunde ist es besonders schwer: All ihre Ziele und Hoffnungen sind mit einem Mal wie Seifenblasen zerplatzt!«
»Fest steht, dass Cisneros die Medresse eigentlich gleich mit hätte niederbrennen können«, schoss es da aus Abdarrahman heraus. »Ohne Bücher können wir nicht weiter studieren!«
»Die Bücherverbrennung ist allerdings ein unglaublicher Verlust – und zwar für die Muslime
und
für die Christen«, mischte sich Raschid mit bedächtigem Tonfall ein. Als Zahra merkte, wie sich die Aufmerksamkeit von Vater und Sohn voneinander löste und sich Raschid zuwandte, atmete sie auf.
»Und ich denke, Cisneros wird noch merken, welch fatalen Fehler er heute gemacht hat«, fuhr Raschid fort. »Sosehr ihm der Islam verhasst sein mag – immerhin tritt er in seinem Land für Bildung ein, ja, er ist sogar einer der Förderer der Humanisten, wie auch immer man das verstehen soll. Dieser riesige Wissensschatz, den er da den Flammen übereignet hat, hätte auf jeden Fall auch seinen Wissenschaftlern unschätzbare neue Erkenntnisse bringen können, Kenntnisse, von denen jetzt viele unwiederbringlich verloren sind, denn nicht von allen Büchern gibt es in anderen Ländern Kopien!«
»Diese Widersinnigkeit will mir auch nicht in den Kopf«, stimmte Jaime ihm zu. »Aber offensichtlich ist Cisneros der Hass auf alles Muslimische wichtiger als das Fortkommen seiner Wissenschaftler!« Er holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Es … Leider ist da noch etwas, was ihr wissen solltet … Cisneros kündigt ja schon länger an, dass er gegen die Renegados vorgehen will, aber jetzt scheint er ernst damit machen zu wollen: Offensichtlich plant er, den zum Islam übergetretenen Christen ihre Kinder wegzunehmen, um sie in christlichen Familien erziehen zu lassen.«
Von der Tür zum Wohnraum her erklang ein entsetztes »Nein!«, gefolgt von einem lauten Scheppern. Zahra fuhr herum und sah, dass Maryam die Schüssel mit dem Nachtisch hatte fallen lassen und wie betäubt gegen die Wand sank. Maryam hatte ihren Sohn in dem muslimischen Glauben ihres verstorbenen Mannes erzogen, den ja auch sie angenommen hatte – und damit gehörten sie und ihr Sohn zu dem Personenkreis, dem sich Cisneros nun widmen wollte.
Zahra eilte zu ihr und nahm sie in den Arm. »Ganz ruhig, Maryam, bisher sind es nur Pläne, und bis Cisneros die in die Tat umsetzt, ist uns für deinen Sohn gewiss eine Lösung eingefallen!«
»Und welche?«, schluchzte Maryam. »Oh Herrin, Herrin, wenn ich nach meinem Mann jetzt auch noch unser Kind verliere …« Schluchzend sank sie an Zahras Brust.
Hilfesuchend sah
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