Das Geheimnis der Maurin
Freunde …«
»Euer Sohn ist kein Dummkopf; er weiß, dass sie hier nichts ausrichten können.« Zubair nickte ihr zuversichtlich zu. »Wenn es wirklich zu einem Tumult kommen sollte, wird er sich garantiert zurückziehen.«
Zahra hoffte aus ganzem Herzen, dass er recht hatte.
Da Yayah keine Antwort erhalten hatte, machte er sich allein auf den Weg zu Abdarrahman, doch noch ehe er in der Menge verschwinden konnte, schnappte Zubair ihn an der Kapuze seiner Djellaba und zog ihn zurück. Unwillig sah Yayah zu dem Diener auf und versuchte, sich freizukämpfen, aber ein einziger Blick Zahras genügte, damit Yayah seinen Widerstand aufgab, die Augen senkte und sich wieder in ihre Reihe einfügte.
Cisneros beendete die Messe mit einem Segen für die Gläubigen und gab dem Henker das Zeichen, den Scheiterhaufen zu entzünden. Als der große, rotgesichtige Mann die brennende Fackel an das Reisig hielt, zischte beinahe augenblicklich ein nervös knisterndes Feuer empor, gierig leckende Flammen fraßen sich in die Augen der Zuschauer, eine heftige, drängende Hitze schlug ihnen entgegen und breitete sich auf dem Platz aus; auch Zahra spürte sie auf Stirn und Wangen. Unwillkürlich zog sie Yayah näher an sich heran.
Nachdem Cisneros die Männer, denen er die ehrenvolle Aufgabe zugedacht hatte, die »Satansschriften« dem Feuer zu übereignen, gesegnet hatte, rollte der erste Wagen an den Scheiterhaufen heran. Auf ihm lagen vor allem Korane.
»So übergebt denn diese zwischen Buchdeckel gebannten Zeichen des Aberglaubens, diese Auswüchse der mohammedanischen Ungläubigkeit den reinigenden Flammen, auf dass auch ihre Seelen gereinigt und gerettet und dem einzig wahren Glauben zugeführt werden mögen!«
Die Männer begannen mit Eifer, die Bücher in die Flammen zu werfen. Viele Korane waren wahre Kunstwerke mit aufwendigst gearbeiteten und mit viel Gold verzierten Buchdeckeln und oft schon seit Jahrzehnten im Familienbesitz gewesen. Als Cisneros’ Getreue die ersten Werke ins Feuer warfen, zischten Funken hoch – und durch die Reihen der Mauren ging ein schmerzerfülltes Raunen. Immer mehr von ihnen hoben die Stimme zum Gebet – Stimmen, die unter dem Applaus und dem Johlen der Christen fast untergingen. Voller Sorge sah Zahra zu Abdarrahman. Die jungen Männer um ihn herum brüllten und gestikulierten immer aufgeregter, und plötzlich preschten die Ersten von ihnen vor, um Cisneros’ Getreue daran zu hindern, ihre heiligen Bücher weiter ins Feuer zu werfen. Augenblicklich stürzte eine Gruppe von Soldaten herbei und prügelte auf die jungen Leute ein. Das Handgemenge weitete sich aus, Abdarrahman rief seinen Freunden etwas zu, drängte zu ihnen – und dann verlor Zahra ihren Sohn aus den Augen. Sofort wollte sie sich zur anderen Seite durchschlagen, aber Zubair packte sie am Arm. »Herrin, bitte, das würde Euer Sohn Euch niemals verzeihen!«
Zahra ballte die Hände zu Fäusten, gab aber nach. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, versuchte, an den Köpfen vorbeizuschauen, drängte auch Yayah, nach seinem Bruder Ausschau zu halten, konnte vor lauter Sorge kaum noch atmen – aber dann machte Zubair ihr Zeichen, dass er ihn entdeckt hatte. Abdarrahman hatte sich ein paar Schritte von dem Gerangel zurückgezogen. Schwarz, starr und fassungslos hing sein Blick am Scheiterhaufen, auf dem sich die Bücher wie kleine, verendende Tiere unter den Flammen bogen und wanden, schließlich selbst Feuer fingen und mit heller Glut ihr Leben aushauchten.
Als sich auch die Gruppe hinter Abdarrahman noch in die Kämpfe mit den Wachleuten stürzte, schoss mit einem Mal auch Zahras Sohn vor: Mit einem gezielten Fausthieb streckte er einen von Cisneros’ Soldaten nieder, rammte seine Fäuste gleich dem nächsten in den Magen – da sprang Musheer ihm nach, riss ihn mit aller Macht zurück und zerrte ihn weg. Zunächst setzte sich Abdarrahman auch gegen den drei Jahre älteren Freund zur Wehr, doch Musheer verpasste ihm einen rüden Stoß, der Abdarrahman zur Besinnung brachte: Zwar gestikulierte er wütend gegen den Freund, folgte ihm aber doch in eine Seitengasse. Nur Sekunden später stürmte ein zweiter Trupp Soldaten herbei und nahm die überwiegend jugendlichen Aufrührer fest. Panisch versuchten sie zu fliehen, aber nur den wenigsten gelang es, aus dem Menschenauflauf zu entkommen.
Erst jetzt, da Zahra ihren Sohn in Sicherheit wusste, nahm sie die dichten Rauchschwaden wahr, in die der Platz inzwischen gehüllt war.
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