Das Geheimnis der Maurin
Himmels willen, warum?«
»Cisneros bezeichnet unsere Bücher als Ausdünstungen des Teufels, die den heiligen Flammen der Kirche übergeben werden müssten, wie er sich ausdrückt. Er sagt, sie würden unsere Seelen verunreinigen und uns vom rechten Glauben abhalten.« Der Imam seufzte schwer.
»Sayyidi!« Zahra verbeugte sich vor dem Imam und machte die Grußzeichen über der Brust. »Verzeiht, aber … aber das, was Ihr eben gesagt habt, das … das kann doch unmöglich wahr sein!«
Der Imam wandte sich zu ihr um. »Leider doch, mein Kind, leider doch!«
»Aber sie können doch nicht … nicht den Koran … Sie können doch nicht den Koran verbrennen! Und auch nicht all unsere anderen Bücher … Die Gedichtbände, astrologische Werke, Glaubensschriften, mathematische Aufzeichnungen, mystische Poesie, historische Bände …« Ihre Stimme erstarb.
Mit kummervollem Blick deutete der Imam auf einen Anschlag, der nur wenige Schritte von ihnen entfernt an einer Hauswand angebracht war und die Bücherverbrennung in großen Lettern ankündigte. »Soweit ich gehört habe, wird Cisneros einzig medizinische Schriften aufbewahren und diese zur Universität von Alcalá bringen lassen. Alle anderen Bücher sollen verbrannt werden.«
Obwohl Zahra die Worte des Imams verstand, den Anschlag las und auch ihr Bruder und Jaime ihr am Abend bestätigten, dass Cisneros die Bücher verbrennen würde, konnte sie es doch nicht begreifen – und Abdarrahman noch viel weniger. Wie ein Berserker stürmte er im Wohnraum auf und ab und ließ seiner Verzweiflung freien Lauf.
»Aber ist den Christen denn nicht klar, dass sich unter diesen Werken auch die Bücher von Abu Ali al-Husain ibn Abdullah ibn Sina befinden, der ihnen doch immerhin so vertraut ist, dass sie ihn Avicenna nennen?«, rief er seinen Eltern entgegen. »Und was, zum Teufel, haben wir davon, wenn Cisneros Sinas
Qanun at-Tibb,
seinen Kanon der Medizin, in Alcalá aufbewahrt? Wir brauchen diese Schriften hier für unsere Studien, HIER ! Und auch Sinas Werke über Geometrie, Theologie, Astrologie – und die Werke unserer anderen Wissenschaftler! Das sind unschätzbare Quellen des Wissens! Was geht nur in den Köpfen der Christen vor? Ihre Wissenschaft kann der unseren nicht das Wasser reichen, und dann wollen sie eine solche geballte Masse an Wissen
verbrennen?
Warum verbietet Cisneros uns nicht gleich das Studieren und sperrt uns zu den Schafen in die Ställe? Vater, Mutter, Raschid, Ihr müsst etwas tun! Ihr müsst doch irgendetwas tun können!«
»Niemand weiß, was sich Cisneros dabei denkt«, meinte Jaime nach einem Räuspern. »Auf jeden Fall widerspricht es allem, was in den Statuten der Kapitulationsvereinbarungen festgelegt wurde. Auch Talavera ist entsetzt. Er sagt, dass die Könige dies keinesfalls gutheißen werden, aber es bleiben uns ja nur drei Tage, und so schnell können wir sie nicht erreichen!«
»Cisneros hin, Könige her – Abdu hat recht!«, fiel Zahra ihm ins Wort. »Es muss etwas geben, womit wir Cisneros von dieser Wahnsinnstat abhalten können!« Sie sah zu Raschid und Jaime und warf dann ihrem Sohn einen eigentümlich forschenden Blick zu, denn es gab etwas, wovor ihr noch weit mehr graute als vor der Bücherverbrennung: dass sich Abdarrahman und seine Freunde zur Aufgabe machen könnten, was eigentlich die Pflicht ihrer Glaubensführer war!
»Der arabische Rat hat bereits ein entsprechendes Schreiben an Cisneros verfasst – aber viel mehr als das können sie nicht tun«, erwiderte Raschid. »Zahra, Abdu, so versteht doch: Uns sind die Hände gebunden – jedenfalls, wenn wir keine neue kriegerische Auseinandersetzung heraufbeschwören wollen. Und das kann niemandes Ziel sein!«
Jaime zuckte die Schultern.
»Und was wird Cisneros nach den Büchern verbrennen?«, fragte Zahra heiser.
»Oder wen!«, zischte Abdarrahman, woraufhin er von seinem Vater einen strengen Blick erntete. Unbeirrt hielt er ihm stand. »Ja, wen Vater,
wen!
Denn auch wenn Euch das alles als Christ nicht betrifft –
mich
betrifft es! Weil ich nämlich kein verdammter Christ, sondern Muslim bin!«
»Abdu, das reicht!« Erschrocken sprang Zahra vom Diwan auf und zog ihren Sohn zurück, doch Abdarrahman schüttelte ihre Hand wutentbrannt ab, fuhr zu seinem Vater herum und spuckte ihm voller Verachtung entgegen: »Bei Gott, wenn Ihr wüsstet, wie sehr mir Eure gottverdammte Scheinheiligkeit zum Hals heraushängt!«
»Vorsicht, mein Sohn, pass auf, was du
Weitere Kostenlose Bücher