Das Geheimnis der Maurin
seinem Leben zu schützen! Und diesen Eid würde er niemals brechen.
Als sie wieder frei reden konnte, war ihre Stimme nur umso eindringlicher: »Ihr dürft euch nicht aufhetzen lassen. Beim Allmächtigen, er möge euch erleuchten: Seht ihr denn nicht, dass wir keine Chance gegen die Christen haben? Die hatten wir vor zehn Jahren nicht, und heute haben wir sie noch weniger! Damals standen die Christen
vor,
inzwischen aber leben sie
in
der Stadt, und selbst die Alhambra gehört ihnen!«
»Sicher, Mutter, aber … Ihr versteht das nicht! Ihr seid eben nur eine Frau …«
»Nur?«, fiel Zahra ihrem Sohn wütend ins Wort. »Als ich in eurem Alter war, war ich die engste Vertraute der Frau des Emirs, und du kannst mir glauben, Abdu, dass ich weit mehr als die meisten in diesem Land davon mitbekommen habe, was sich hinter den hohen Mauern der Herrscher abspielt, denen der Mauren wie denen der Christen! Als die Christen damals vor den Toren unserer Städte standen, erst in Málaga und später in Granada, war ich eine der Letzten, die dafür waren, dass wir aufgeben, und diese Entscheidung lag nicht zuletzt an dir, Abdu, und deinen Geschwistern. In eurem Alter ist es leicht, mutig zu sein, weil man nichts als das eigene Leben zu verlieren hat. Aber ich habe drei Leben geboren – und mir liegt alles daran, dass sie auch am Leben bleiben! Anders als früher haben wir nichts mehr zu gewinnen, wir können nur noch mehr verlieren!«
»Ich weiß sehr gut, was Ihr damals für unser Land getan habt«, warf nun Musheer ein. »Mein Vater hat oft davon erzählt, und wenn es in unserem Land eine Frau außer der abgedankten Sultanin gibt, von der er mit höchster Achtung spricht, dann seid Ihr es! Trotzdem muss ich Euch widersprechen: Auch wenn die Christen die Alhambra innehaben und ihre Soldaten selbst in den kleinsten Gassen unserer Stadt patrouillieren und herumschnüffeln – wir müssen uns endlich zur Wehr setzen, wenn wir uns nicht selbst verlieren wollen!«
»Uns selbst verlieren …« Zahra schüttelte den Kopf. »Wenn wir tot sind, wird es kein ›uns selbst‹ mehr geben, und deswegen«, sie sah ihren Sohn nachdrücklich an, »deswegen wirst du gleich morgen früh raus auf die Seidenfarm reiten und fürs Erste dort bleiben!«
»Aber Mutter!«, begehrte Abdarrahman auf.
»Keine Widerrede – oder ich erzähle deinem Vater von diesen Treffen, die ihr nach dem Unterricht in der Medresse abhaltet und von dem ihr sicher auch eben gekommen seid!«
»Das … das dürft Ihr nicht! Damit werdet Ihr uns alle in Gefahr bringen. Bitte, Mutter, so hört mir doch erst einmal zu!«
»Tut das nicht, Sayyidati«, bat nun auch Musheer. »Ihr habt uns doch eben selbst daran erinnert, dass Ihr über so viele Jahre eine Kämpferin für unser Land und unseren Glauben gewesen seid. Findet Ihr nicht auch, dass wir uns schon jetzt viel zu viel haben wegnehmen lassen? Und die Christen gehen ja immer noch weiter! Wie sollen wir die Kinder ohne Koran in unserem Glauben unterrichten? Wie sollen wir die jungen Leute ohne Bücher in die Wissenschaft einweisen und sie ausbilden zu Ärzten, Astronomen, Übersetzern, Philosophen? Ich habe mein Medizinstudium erst zur Hälfte absolviert, Abdu hat gerade erst angefangen, und derzeit behelfen wir uns mit Schiefertafeln und dem Wissen der Lehrer, aber das ist nur ein allzu schwacher Trost und alles andere als eine fundierte Ausbildung! Sayyidati: Ein Volk ohne Glauben, Bildung und Kultur ist ein sterbendes Volk!«
Zahra wandte sich einen Moment lang von den beiden ab. Sie wollte nicht, dass sie sahen, wie sie mit sich ringen musste. Sosehr sie Musheer recht gab und auch ihren Sohn verstand – so sehr hatte sie doch auch Angst um ihre jungen Leben und vor einem neuen Krieg. »… ist ein sterbendes Volk«, wiederholte sie in Gedanken Musheers Worte, und tief in ihrem Inneren spürte sie, dass er recht hatte. Nein, es reichte allerdings nicht zu atmen und zu essen, der Mensch brauchte mehr, jedes Volk brauchte mehr als das. War es nicht besser, um seine Rechte und seine Freiheit zu kämpfen, als lebendig tot zu sein?
Mit zittrigen Fingern strich Zahra eine Haarsträhne unter ihren Hidschab zurück, atmete tief durch und wandte sich wieder zu den beiden um. »Ihr plant einen Aufstand, nicht wahr?«
Abdarrahman warf einen zögernden Blick zu Musheer, und erst als dieser ihm zunickte, gab er es zu. »Ja, Mutter. Es geht nicht mehr anders.«
Zahra schluckte. Sie dachte an Jaime und bat ihn
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