Das Geheimnis der Maurin
wie tränenreich vor, dass sie mit ihrem Verhalten ihrer aller Untergang beschwor. »Ihr müsst Vater zurückhalten und endlich tun, was er von Euch verlangt!«
Zahras einzige Reaktion auf Chalidas Flehen war, dass sie sich erhob und in ihr Zimmer zurückzog, und das sogar, ohne ihre Tochter für ihren ungebührlichen Ton getadelt zu haben – weil ihr dafür, wie für alles andere, die Kraft fehlte. Seit Jaimes Aufbruch war ihr endgültig jeder Schritt zu viel, und oft saß sie über Stunden allein und in sich versunken in einem stillen Winkel im zurückliegenden Teil des Gartens des großen Patios, den Blick ins Nichts gerichtet, und wurde trotz der drückenden Temperaturen immer wieder von Kälteschauern geschüttelt, so dass Deborah oder die Dienerinnen sie in wärmende Decken hüllten – was sie kaum wahrzunehmen schien.
Auch Deborah und Raschid bemühten sich immer wieder, mit ihr zu reden und ihr Mut zuzusprechen, konnten aber ebenso wenig wie die anderen zu ihr durchdringen und mussten hilflos mit ansehen, wie sich Zahra weiter und weiter von ihnen entfernte. Auch mit Jaime sprach Raschid noch etliche Male, doch dieser lehnte die Rückkehr auf die Farm selbst dann noch ab, als Raschid ihm gestand, dass Zahra regelrecht in sich zerfiel.
»Glaub mir, Raschid: Auch wenn ich zurückkäme, würde es Zahra nicht bessergehen, eher im Gegenteil. Du wirst sehen: Wenn sie mich erst einmal in der Ferne und nicht mehr mitten in der ihr heute so verhassten Alhambra weiß, wird es ihr leichterfallen, zu allem Abstand zu finden. Direkt nach Chalidas Hochzeit werde ich mich nach Neapel einschiffen; bis November ist ja nicht mehr lange.«
Auch an diesem Abend führte Raschids erster Weg nach der Heimkehr von Granada zu seiner Schwester. Er fand sie im Garten sitzend, mit dem Rücken gegen den Maulbeerbaum gelehnt, die Hände um die Knie geschlungen und gefangen in diesem Nichts, das sie jetzt ständig umgab. Erst als er sie zum dritten Mal ansprach, sah sie zu ihm auf, aber das mit so leerem Blick, dass er sich zunächst noch nicht einmal sicher war, ob sie ihn erkannte. Seufzend ließ er sich neben sie sinken und drückte ihr einen Kuss auf die Hand. »Wenn ich doch irgendetwas für dich tun könnte!«
Eine Zeitlang blieb er stumm neben ihr sitzen und hielt einfach nur ihre Hand.
»Wenn du dies alles hier nicht mehr ertragen kannst«, seufzte er schließlich, »warum verlässt du das Land dann nicht mit Jaime und den Kindern? Ich verstehe nicht, was du mit deiner starren Haltung zu gewinnen meinst.«
»Gewinnen?« Zahra entzog ihm die Hand, strich eine imaginäre Fluse von ihrem Umhang – eine sehr müde Geste, die wirkte, als wolle sie damit zugleich auch alle anderen alten Hoffnungen von sich streifen – und deutete ein Kopfschütteln an. »Zu gewinnen gibt es schon lange nichts mehr. Eigentlich sind wir doch alle nur noch Verlierer; die Christen wissen es nur noch nicht. Und weggehen … Früher hätte ich Jaime vielleicht noch dazu überreden können, aber heute … Er mag mit manchem, was die Katholischen Könige oder Cisneros tun, nicht einverstanden sein, aber es ist sein Land, sein Glaube, seine Vergangenheit und seine Zukunft.« Von Wort zu Wort war ihre Stimme leiser geworden. Kraftlos schloss sie die Augen. Raschid nahm erneut ihre Hand, und erst als sie ihn wieder ansah, fuhr er zu sprechen fort: »Und wenn wenigstens du und die Kinder oder zumindest du und Abdarrahman …« Er unterbrach sich und drückte ihre Hand. »Bei den Dämonen, ich weiß ja selbst, welche Gefahren bei der Überfahrt auf euch lauern, aber bevor ihr beide hier zugrunde geht … Ihr könntet nach Fez gehen, zu Vaters Schwester – Zainab und Mahdi sind doch sehr glücklich dort!«
Zahra strich sich mit einer müden Geste über das Gesicht. »Lass nur, Raschid, alles ist gut, wie es ist. Jaime soll sein Leben führen, ich lebe das meine, und Marokko …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht, meine Kinder sind hier geboren – und hier will ich auch beerdigt werden.«
»Oh Zahra,
ghuzailati!
« In seiner Stimme schwammen Tränen, als er den Kosenamen »meine kleine Gazelle« benutzte, wie er Zahra als Kind immer gerufen hatte. »Du bist erst achtunddreißig, hör also auf, von deiner Beerdigung zu sprechen, und sieh lieber zu, dass auch die Inquisition keine für dich plant. Du hast Kinder, dein Jüngster ist noch kein Jahr alt! Zum Donner noch eins: Reiß dich zusammen!«
Doch
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