Das Geheimnis der Maurin
gekümmert!«
Unschlüssig sahen die Büttel erst Zahra und dann einander an. Nach einem schier endlosen Zögern nickte der Ältere. »Nun gut, aber sollte die Frau bis nächsten Sonntag immer noch nicht wieder auf den Beinen sein, muss jemand anderes nach ihr sehen – sonst nehmen wir ihn und seinen Sohn doch noch mit! Wer nie in die Messe geht, kann sein Kind kaum zu einem guten Christenmenschen erziehen!«
Als Zahra zu stöhnen anfing, zischte der Jüngere dem Älteren etwas zu. Die Worte »Miasmen« und »sehen wir zu, dass wir von hier wegkommen« waren zu verstehen, und danach hatten sie es beide sehr eilig. Erst als die Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel, ließ Deborah Abdarrahmans Hand los und drehte sich zu ihm um. Kalkweiß war sein Gesicht und das Amtsschreiben in seiner Rechten längst zur Unkenntlichkeit zerknüllt. Mit einem Mal schleuderte er es von sich, als hätte er sich daran verbrannt. »Was fällt denen ein?«, keuchte er. »Woher nehmen sie sich das Recht …«
»Ruhig, Abdarrahman, so sei doch leise; wenn sie dich hören!«, flehte Deborah und bat ihn, in den Wohnraum mitzukommen. Dort wich Abdarrahmans Zorn zunehmend völliger Fassungslosigkeit. »Mein Sohn … mich ja, aber sie können doch nicht … nicht meinen Sohn!«, stieß er hervor und sank unter beständigem Kopfschütteln auf den Diwan. »Deborah, doch nicht meinen Sohn!«
Mit hilflos hochgezogenen Schultern ließ sich Deborah neben ihn sinken. »Ach, Abdu, so gut ich deine Haltung und die deiner Mutter verstehen kann – und glaub mir, das tue ich! –, aber … mein Gott, willst du es wirklich zum Äußersten kommen lassen? Ich bitte dich: Wenn du es schon nicht für dich tust, so tu es wenigstens für deinen Sohn! Lass den Christen ihren Willen, geh in ihre Kirche! Du verrätst Adilah nicht, nur weil du am Sonntag die Messe besuchst, im Gegenteil: Du schützt alles, was dir von ihr noch bleibt: euren Sohn!«
Zwei Wochen lang schwebte Zahra zwischen Leben und Tod, und man hatte schon Chalidas Hochzeit verschieben wollen, als sie sich endlich doch erholte. Wieder einmal hatten Tamus Heilkräuter dem Tod die Eingangstüren verschlossen und ein Familienmitglied zurück zu den Seinen geholt. Zuerst verlangte es Zahra nur nach Wasser, doch dann, und dies durchaus gegen ihren Willen, kehrte auch ihr Appetit zurück, und als sie zum ersten Mal wieder draußen im Garten saß und die Sonne ihren noch immer unendlich schwachen Körper durchflutete, konnte sie nicht anders, als die Augen zu schließen und diesen Moment der Wärme sogar zu genießen.
Ein paar Tage später stand Gonzalo vor den Toren der Seidenfarm der as-Sulamis und verlangte Jaime zu sprechen. Unsicher rief der Diener nach Abdarrahman. Als sein Neffe auf ihn zutrat, meinte Gonzalo seiner Miene anzusehen, dass dieser genau wusste, mit wem er es zu tun hatte, und auch die unwillige Abwehr, mit der er ihm entgegentrat, konnte ihm nicht verborgen bleiben. Mit knappen Worten erklärte Abdarrahman ihm, dass sein Vater nicht im Haus sei, er ihm aber eine Nachricht übermitteln könne. Zuerst wollte Gonzalo sogleich wieder gehen, aber je länger er den jungen Mann ansah, je mehr er sich seiner Ähnlichkeiten mit Zahra bewusst wurde – dieser feste, entschlossene Blick seiner Augen, der stolz erhobene Kopf –, desto weniger konnte er sich des Gedankens erwehren, dass sich Zahra in erster Linie Abdus wegen damals für Jaime und nicht für ihn entschieden hatte. Wenn sie nicht diesen Sohn von Jaime empfangen hätte … Gonzalo verbot es sich weiterzudenken. Als Jaime vor einem Jahr zu ihm gekommen war, um ihn für diesen Sohn um ein Darlehen zu bitten, um damit dessen Bußgeld für die Teilnahme an dem Aufstand zu zahlen, hatte er im ersten Moment geglaubt, entweder ersticken – oder seinen Bruder niederschlagen zu müssen.
Gonzalo wurde bewusst, dass Abdarrahman ihn fragend ansah.
»Ich … Und Eure Mutter?«, platzte es da aus ihm heraus. »Zumindest Zahra ist gewiss zu sprechen!«
Im ersten Moment wusste Gonzalo selbst nicht, warum er nach Zahra verlangte, zumal ihm bewusst war, dass sein Ansinnen ungehörig war, aber kaum zerging ihm Zahras Namen auf den Lippen, sehnte er sich danach, sie wiederzusehen. Er wollte nicht gehen, ohne zumindest ein paar Worte mit ihr gewechselt zu haben.
»Meine Mutter?« Abdarrahman sah ihn erstaunt an. »Nach unseren Sitten ist es …«
»Es wird ihr Schaden nicht sein«, fiel Gonzalo ihm bewusst nebulös ins Wort.
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