Das Geheimnis der Maurin
nicht, mir sei entgangen, dass Chalida schon lange etwas auf dem Herzen hat. Wenn ich sie frage, was es ist, will sie nicht reden, und inzwischen denke ich: Ich selbst bin das, was ihr das Herz schwer macht! Chalida hatte schon immer nur Augen für ihren Vater, und seit sie den letzten Streit von uns miterlebt hat, sieht sie mich nicht einmal mehr an.«
»Aber solche Streitereien und Missverständnisse – die vergehen, Zahra, das renkt sich wieder ein, und ganz gewiss will auch Chalida dich nur einfach wieder aus ganzem Herzen leben und lachen sehen!«
»Das kann ich aber nicht. Ich passe nicht mehr in diese Welt, ich passe da nicht mehr hinein …«
Am Abend bekam Zahra Fieber, und es stieg so hoch, dass Tamu nicht mehr von ihrer Seite wich. Auch Deborah und Zahras Kinder kamen immer wieder ins Zimmer und saßen mit bangen Augen an Zahras Liegestatt. Zunächst wollte Tamu Chalida nicht erlauben, die Pflege zu übernehmen, doch nachdem sie ihr weinend gestanden hatte, welche Vorwürfe sie sich machte, ihrer angegriffenen Mutter in der letzten Zeit ständig Vorhaltungen gemacht und damit sicher zu ihrem Zusammenbruch beigetragen zu haben, gestattete sie dem Mädchen, die Nacht ebenfalls an Zahras Seite zu verbringen.
Wie bei Musheers Pflege wagte Chalida auch diesmal kein Auge zuzumachen, vor allem, nachdem Tamu sich gegen Morgengrauen auf ihr eigenes Lager zurückzog. Immer wieder riss sie krampfhaft die Augen auf, legte ihrer Mutter einen kühlen Lappen auf die glühend heiße Stirn und schwebte durch die Übernächtigung, die Anspannung und die Angst um ihre Mutter schließlich so sehr zwischen den Welten, dass sie, als donnernde Stiefeltritte ins Haus drangen, diese für Sinnestäuschungen hielt. Verstört rieb sie sich die Augen und über das Gesicht, doch die eigenartigen Wahrnehmungen blieben und nahmen sogar noch zu: Auf einmal schien ihr das Haus voll von dröhnenden Stimmen zu sein und die knallenden Tritte immer näher zu kommen …
Das ist der Satan, der Satan persönlich, der mich holen kommt!, schoss es ihr mit schreckensheißer Panik in die Glieder. Er will mich strafen für meine Vergehen, meinen Verrat an Ihm, an Musheer, an Mutter – aber dann stürmte Yayah in das Gemach ihrer Mutter und haspelte aufgeregt etwas von Bütteln und den Glaubensknechten der Inquisition, und hinter ihm drängten sich zwei Christen mit brutalen Schlägen an den fassungslos durcheinanderschreienden Dienern vorbei in Zahras Schlafraum. Abdarrahman eilte ihnen nach und wies sie aufgebracht zur Ordnung: »Was fällt Euch ein, hier einzudringen?«
Sein akzentfreies Spanisch verunsicherte die Büttel, doch ihre Verblüffung währte nur kurz. Der Ältere, ein finsterer Andalusier mit einem verkrüppelten Ohr, streckte Abdarrahman knurrend ein Schreiben entgegen. Abdarrahman überflog es. Sie sollten untersuchen, warum Zahra und Abdarrahman as-Sulami am heiligen Sonntag schon zum wiederholten Mal nicht in der Messe gewesen seien. Und wenn sie zu dem Schluss kamen, dass sie sich damit gegen ihren neuen Glauben vergangen hatten, Abdarrahmans Sohn mitnehmen und in einer Familie unterbringen, in der er in gottgefälliger Weise aufwachsen konnte, und Abdarrahman und Zahra festnehmen. Obwohl Abdarrahman jedes Wort verstanden hatte, musste er das Schreiben noch einmal lesen, wobei sein Herz immer wieder aussetzte. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ohne es zu merken, las er das Schreiben beim zweiten Mal mit halblauter Stimme vor. Sobald auch den anderen klarwurde, worum es ging, schlängelte sich Deborah an ihm vorbei und erklärte den Bütteln mit einem tapferen Lächeln, dass die Kranke, die vor ihnen im Bett lag, eben die von ihnen gesuchte Zahra as-Sulami sei und diese, wie sie wohl leicht erkennen konnten, zu krank war, um sich auch nur von ihrer Liegestatt zu erheben, geschweige denn bis nach Granada in den Gottesdienst zu reiten. In der Tat hatte selbst der Aufruhr in ihrem Gemach Zahra nicht aus ihrem Fieberschlaf wecken können.
»Und dieser Abdarrahman as-Sulami – wo ist der?«, knurrte der Büttel mit dem verkrüppelten Ohr. »Zumindest der hätte in der Kirche erscheinen müssen! Und wo ist sein Sohn?«
»Wagt es nicht, meinen Sohn auch nur …«
Hastig schob sich Deborah vor Abdarrahman, griff in ihrem Rücken nach seiner Hand und drückte sie inständig, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Mein Neffe Abdarrahman hat sich in guter Christenpflicht um seine schwerkranke Mutter
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