Das Geheimnis der Maurin
»Und der deine auch nicht, Neffe!« Er wusste selbst nicht, warum er Abdarrahman so ansprach.
»Die Herrin ist krank!« Wie aus dem Nichts stand plötzlich eine gebeugte Alte ein paar Schritte hinter Abdarrahman. In ihrer Stimme schwang Feindschaft wie Donnergrollen mit. Gonzalo erinnerte sich, sie schon einmal gesehen haben; sogar ihr Name fiel ihm wieder ein: Tamu …
»Ich hoffe, es ist nichts Ernstes!«, erwiderte er, trat entschlossen, sich auch von ihr nicht aufhalten zu lassen, ins Haus und drückte Abdarrahman seinen Umhang in die Hand. »Na los, jetzt bring mich schon zu ihr!«
»Was fällt Euch ein!«, fuhr Abdarrahman auf.
»Es ist schon gut, Abdu, bitte, lass unseren Gast eintreten!«
Zart wie eine Vogelstimme wehte ihnen Zahras Stimme entgegen, und als Gonzalo daraufhin zu ihr sah, war er zutiefst erschrocken, wie dünn, geradezu durchscheinend sie war. Er verfolgte, wie sich Abdarrahman empört zu seiner Mutter umwandte – und Zahra ihrem Sohn zwar nur schwach, aber entschieden zunickte.
Obwohl auch die alte Berberin entrüstet die Hände in die Seiten stemmte, ließ Abdarrahman Gonzalo schließlich passieren. Gonzalo bemühte sich, in seiner Miene keinerlei Triumph aufleuchten zu lassen – und noch weniger die Seligkeit, die ihn bei der Aussicht befiel, tatsächlich zumindest für ein paar Minuten mit Zahra reden zu können.
»Ich danke Euch«, sagte er und begrüßte Zahra mit einem respektvollen »As-Salamu alaikum«.
Zahra bat ihn, ihr in den Patio zu folgen, wo sie ihm einen Platz auf der Sitzbank anbot. Anschließend setzte auch sie sich. Obwohl Gonzalo bewusst war, wie ungehörig es war, sie ständig weiter so direkt anzusehen, konnte er doch nicht anders – und es rührte ihn, wie tapfer sie den Kopf anhob, um ihn nicht merken lassen, wie müde und schwach sie war. Nicht zum ersten Mal haderte er mit Gott, dass er ihm so vieles im Leben geschenkt hatte, aber nicht das, woran ihm am meisten gelegen hatte – denn er begehrte Zahra mehr denn je.
Zehn Jahre waren vergangen, seit Gonzalo damals zu ihnen in ihr Haus in Granada gekommen war, um ihnen mitzuteilen, dass sie die Seidenfarm nun doch zum alten Preis zurückkaufen konnten, aber als Zahra ihm nun in die Augen sah, hatte sie das Gefühl, jemand hätte die Zeit noch viel, viel weiter zurückgedreht. Auf einmal stand ihr ihre erste Begegnung im Myrtenhof der Alhambra wieder so lebendig vor Augen, als hätte sie erst gestern stattgefunden, sogar die tiefe Verwirrung, die sie damals verspürt hatte, prickelte erneut durch ihren Körper. Über Jahre hatte Gonzalo damals ihre Phantasie beflügelt. Sie fragte sich, wie ihr Leben wohl an seiner Seite verlaufen wäre – und musste erkennen, dass auch er seine Welt nicht für sie hätte verlassen können und sie für ihn nicht die ihre. Die Stille zwischen ihnen begann, sie verlegen zu machen – und noch mehr seine Blicke.
»Es ist schön, Euch wiedersehen …«, sagte sie schließlich. Als er ihr daraufhin direkt in die Augen sah, durchfuhr sie ein kleiner Schauer.
»Eure Anziehung auf mich hat jedenfalls nichts von ihrer Kraft verloren«, gab Gonzalo leichtherziger und jungenhafter zurück, als ihm zumute zu sein schien. Danach wurde er in der Tat gleich wieder ernst, schüttelte den Kopf, als wundere er sich über sich selbst, und murmelte etwas. Einen Teil des Satzes meinte Zahra zu verstehen: »Und wenn Gott mir gnädiger gestimmt gewesen wäre, hätte er mich wenigstens Euren Anblick öfter genießen lassen …« Hastig senkte sie die Augen.
»Ich … ich bin gekommen, weil ich eine Angelegenheit bereinigen möchte, die mir schon lange auf der Seele brennt …« Er sah zu Abdarrahman, der sich unweit von ihnen mit verschränkten Armen aufgebaut hatte.
Zahra nickte ihrem Sohn zu, woraufhin der zwar unwillig die Augenbrauen hob, sich aber doch ins Haus verzog. Als sie allein waren, warf Gonzalo ihr einen langen Blick zu. »Täuscht mich mein Eindruck oder wart Ihr sogar sehr krank? Denn auch wenn Eure Augen den gewohnten Glanz verstrahlen, spüre ich doch, wie schwer Euch noch alles fällt.«
»Glanz …« Zahra machte eine zaghafte Handbewegung, die wirkte, als wolle sie alles Vergängliche im Leben damit zusammenfassen. »Ja, ich war sehr krank, aber jetzt geht es wieder. Womit kann ich Euch also dienen?«
»Eigentlich bin ich gekommen, weil ich meinem Bruder ein Schreiben geben wollte, genauer gesagt einen Schein …«
»Geht es um das Geld, das Jaime sich
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