Das Geheimnis der Maurin
Fingerspitzen auf die Nasenwurzel und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das nicht«, presste sie hervor, fasste sich dann und ließ die Hand bis zum Mund sinken. »Es ist … nichts mit unserer Familie, aber beim … beim Schabbatgebet in der Synagoge hat … hat uns der Rabbi eben erzählt …« Deborah rang nach Luft. »In seiner Predigt hat er gesagt, dass in Ávila mehrere Juden und Conversos bei einem … einem Autodafé der Inquisition zum Teil erdrosselt und zum Teil bei lebendigem Leib verbrannt worden sind!« Ihre weiteren Worte ertranken in hilflosen Schluchzern, wobei sie die Augen nun ganz mit den Händen bedeckte. Zahra wollte sie an sich ziehen, aber Deborah ließ sofort die Hände sinken und wies sie mit wedelnden Bewegungen ab. Dann sprach sie so hastig weiter, als hätte sie Angst, es sonst nie mehr sagen zu können. »Es ist schon vor ein paar Monaten passiert, aber ich … ich habe es gerade erst erfahren. Unter den Juden waren Yusef Franco, ein junger Mann von kaum mehr als zwanzig Jahren, und der Rabbi Moshe Abenamías. Der Rabbi ist … er war ein alter Freund meines Vaters!« Sie schluckte schwer, und auch Zahras Hals war eng geworden. Sie musste sich räuspern. »Aber woher nehmen sie das Recht, Juden zu verurteilen?«, presste sie schließlich hervor. »Eigentlich kann doch nach den Gesetzen der Inquisition nur derjenige als Ketzer verurteilt werden, der als Christ getauft wurde und sich dann gegen die Kirche und ihre Glaubensgrundsätze stellt?«
»Ja, aber sie haben Franco und den anderen Juden vorgeworfen, dass sie versucht hätten, die mitangeklagten Neuchristen wieder von dem katholischen Glauben abzubringen, und außerdem … Oh Gott, Zahra, das Ganze ist so schrecklich!« Wieder brach Deborah in Tränen aus, doch die Worte sprudelten weiter aus ihr heraus. »Die Inquisitoren haben … haben sie auch für schuldig erklärt, einen Ritualmord an einem Kind begangen zu haben: Man wirft ihnen die Entführung und Kreuzigung eines christlichen Kindes vor! Und anschließend sollen sie ihm das Herz herausgeschnitten haben und die Nacht darauf in einer Höhle bei La Guardia mit diesem Herz und einer geweihten, aus der Kirche gestohlenen Hostie irgendwelche Zaubereien begangen haben.«
»Was denn für Zaubereien?«
»Man sagt, sie hätten versucht, alle Inquisitoren und Christen mit einem Fluch zu belegen und ihren Glauben zu zerstören, und als ihr Fluch nicht wirkte, hätten sie das Herz und die Hostie zu Rabbi Abenamías gebracht – in der Hoffnung, dass seine Verwünschungen und Zauberkräfte stärker seien als ihre.«
»Oh Gott«, stöhnte Zahra. »Ich weiß zwar, dass man Juden schon öfter dergleichen unterstellt hat, aber das sind doch nur hetzerische Lügen, die kein Mensch beweisen kann – weil sie vollkommen aus der Luft gegriffen sind! Dafür kann man doch nicht jemanden auf dem Scheiterhaufen in Flammen aufgehen lassen!«
»Ihre Beweise waren die Geständnisse der Angeklagten. Man … man hat sie gefoltert, und am Ende haben die meisten wohl gestanden, was immer die Inquisitoren hatten hören wollen!«
»Diese Autodafés … Mein Gott, wie viele Menschen haben die Inquisitoren schon ihrem ›heiligen Feuer‹ übergeben – und das alles unter dem Vorwand, so ihren Glauben zu schützen!« Zahra überlief ein Schauer. »Was kann ein Glaube wert sein, den man auf diese Art schützt oder schützen zu müssen meint? Und wer will überhaupt einen Glauben, für den Menschen so grausam getötet werden?«
Deborah erwiderte nichts, doch ihre Augen waren schwarz vor Verzweiflung.
»Wann … wann ist das alles denn passiert?«, fragte Zahra mit trockener Kehle.
»Im Frühjahr hat man sie verhaftet, am sechzehnten November war das Autodafé. Mit ihnen zusammen sind auch sechs Conversos verbrannt worden, die angeblich ebenfalls in das alles verwickelt waren.«
»Und in Ávila sagst du? Kommt da nicht Erzbischof Talavera her?«
Deborah nickte. »Der Rabbi meinte, dass sich Talavera sehr für diese Menschen eingesetzt habe, aber leider hat auch er nichts gegen die Inquisitoren ausrichten können.«
»Ritualmord – die Kreuzigung eines unschuldigen Kindes!« Zahra schüttelte fassungslos den Kopf. »Was wollen diese Christen Andersgläubigen denn noch alles anhängen?«
»Und dabei ist nirgendwo ein Kind auch nur vermisst!« Deborah trocknete sich die Tränen. »Zahra, ich … Meine Angst, hierzubleiben, wird von Tag zu Tag größer, und auch der Rabbi sagt, das
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